Vertrackte Legitimationen: Kapitalismus, Gemeinwohl und Philanthropie

Schlaglichter auf Philantropie

Reichtum oder Vermögen schillern seit jeher und immer auch ein bisschen unterschiedlich. Im Kapitalismus ist vor allem der Besitz von finanziellem Vermögen verheißungsvoll und verspicht sogar arbeitsfreie Erträge. Weil das so ist, wachsen die Begehrlichkeiten – der eine will, was der andere hat – und Ungleichheiten. Folglich bringt jede Epoche nicht bloß eigene Reichtümer und Reiche hervor, sondern schreit immer wieder aufs Neue nach einem gesellschaftlichen Streit über den Umgang mit Reichtum und Vermögen. Unterbleibt dieser Streit und werden die Gründe für krasse Ungleichheiten verschwiegen, dann treiben ebendiese Gründe Gesellschaften auseinander. Diese Sichtweise hat wenig mit Neid, aber viel mit dringlichen Fragen zu tun. Wie ist etwa ein sekündlicher Verdienst von über 100 US-Dollar bei Bill Gates oder über 200 US-Dollar bei Mark Zuckerberg zu rechtfertigen1, und ist nicht bloß Armut, sondern vielleicht auch Reichtum ein moralisches Problem?

„The Giving Pledge“-Initiative – eine sporadische Antwort der Superreichen

Die politischen Antworten auf diese Fragen wirken sporadisch und zeigen wenig strukturelle Folgen – ein Aufbegehren wie Occupy hier, zu Populismus neigende Parteien oder Politiker da. Auch die vom Ehepaar Bill und Melinda Gates zusammen mit Warren Buffett ins Leben gerufene „Giving Pledge“-Initiative fügt sich in dieses Muster: Milliardär*innen, und man sollte eine Milliarde oder mehr besitzen, um beitreten zu können, versprechen, dass sie noch zu Lebzeiten wenigstens die Hälfte ihrer Vermögen einem karitativen oder philanthropischen Zweck zukommen lassen. Bis März 2020 lagen 211 Giving Pledges und damit ein Spendenversprechen von rund 500 Mrd. US-Dollar vor. Zur Orientierung: Forbes zählt weltweit mindestens 2.100 Milliardär*innen. Die Botschaft lautet: Wir, die Reichen dieser Welt, stellen uns den großen gesellschaftlichen Herausforderungen und geben zum Wohle der Gemeinschaft.

Philanthropie ist ein politischer Akt

Obwohl solche Gaben für das Gemeinwohl aus privaten Entscheidungen hervorgehen, sind ihre Effekte politisch. Denn viele Staaten begünstigen das finanzielle Engagement fürs Gemeinwohl und stellen gemeinnützige Stiftungen – das beliebteste Rechtsinstrument der Superreichen – steuerlich frei. Mit anderen Worten: Der Staat verzichtet auf ihm zustehende Steuermittel und folgt bei der Gestaltung des Gemeinwohls mehr oder weniger blind dem Willen der Spender*innen. Er lässt Bürger*innen über Steuermittel entscheiden, die ihm sonst zustünden. Und weil meist nur der finanzielle, nicht aber der zeitliche Einsatz für das Gemeinwohl begünstigt wird, eröffnet diese Regelung vor allem den Reichen ein Mehr an politischer Gestaltungsmacht.

Philanthrop*innen als Weltgestalter

Damit stellt sich die Frage, ob der Demos die Philanthrop*innen schätzen und ihren Absichten der Philanthrop*innen stillschweigend folgen sollte. Diese Frage wird umso dringlicher, da die Ansprüche der Philanthrop*innen immer umfassender werden. Sie wollen bestehende Gemeinwohlstrukturen nicht allein stützen oder bisher verkannte Problemursachen angehen, sondern gesellschaftliche Strukturen teils grundlegend verändern. Und sie warten mit neuen Weltbeobachtungsformeln auf. So will zum Beispiel das von Bill Gates geförderte Big History Project nicht weniger als die Vergangenheit studieren, die Gegenwart erklären und die Zukunft imaginieren.

Giving Pledge Letter sind Legitimationsversuche

Damit dürfte klar sein, dass die Giving Pledge Letter, jene meist einseitigen und öffentlich einsehbaren Briefe in denen die Milliardär*innen ihre Versprechen bekunden und Selbstauskünfte geben, keine einfachen Absichtsbekundungen sind. Es sind Legitimationsversuche. Die Milliardär*innen wollen ihre finanzielle Macht und ihren politischen Einfluss mit demokratischen Idealen versöhnen. Daher finden sich in den Briefen sowohl die Weltsichten einer Elite als auch die Erwartungen des Demos wieder. Und auch wenn es im Einzelnen kaum auffällt, so entsteht über alle Briefe hinweg ein schiefes, gar anbiederndes Bild. Ein Beispiel soll hier genügen: In über 30 von 187 Briefen thematisieren die Milliardär*innen wortreich, dass sie aus der Unterschicht stammen und sich noch gut an Armut oder Diskriminierung erinnern. Mittelschichthintergründe werden hingegen in nur neun Briefen wortkarg erwähnt. Und ein privilegierter Oberschichtenhintergrund wird, obwohl faktisch gegeben, beredt verschwiegen. „Everyone is dealt a group of cards at birth. With them come possibilities and responsibilities“, schreibt der Milliardenerbe Nicolas Berggruen zu seiner Vermögensherkunft. Wie auch immer sie es drehen und wenden, sie versuchen einen möglichst großen Abstand zwischen Ungleichheiten und möglichen Ungerechtigkeiten in ihre Briefe einzuschreiben.

Vermögen als Verdienst

Ungleichheiten von Ungerechtigkeiten zu trennen ist auch der Subtext, wenn die Herkunft der eigenen Vermögen zur Sprache kommt. Jetzt dominieren Narrationen der eigenen Willens- und Schaffenskraft, die mit einem Quäntchen Glück garniert wurden. Der Milliardär George P. Mitchell formuliert: „I quickly learned that a good education, hard work, dedication, willing mentors, and a few lucky breaks meant the difference between success and failure.“ Systemische Ungleichheiten im Kapitalismus, positive Diskriminierungen oder das weidliche Ausbeuten von rechtlichen Spielräumen, um nur ein paar alternative Erklärungen anzudeuten, finden sich in den Briefen praktisch nicht oder werden als Privilegien verklausuliert.

Vom bescheidenen Selbstbild zum gesellschaftlichen Vorbild

In ihren Rückblicken erscheinen die Milliardär*innen als bescheidene Menschen, die von Werten wie Selbstlosigkeit und Gemeinschaft geleitet wurden und werden. Das aktuelle Versprechen wird so zur zwingenden Folge ihres bisherigen Lebens. Doch mit dem Versprechen an sich leiten sie einen bedeutsamen Wandel ein. Was sie bisher als biographische Zwangsläufigkeiten präsentierten, erhält jetzt den Rang einer begrüßens- und unterstützenswerten gesellschaftlichen Notwendigkeit und aus ihren vorteilhaften Selbstbildern werden plötzlich gesellschaftliche Vorbilder. Letztlich versuchen sie, ihre Steuerprivilegien zu rechtfertigen und ihre Gestaltungsansprüche als zivilgesellschaftliche Tugenden zu deuten. Darüber hinaus bereiten sie die gesellschaftliche Bühne für ihre konkreten philanthropischen Projekte vor. Nur wenn die Philanthrop*innen zum Beispiel den Einsatz der Bill & Melinda Gates Foundation für globale Gesundheit oder das Engagement der mit Rockefeller verbundenen Stiftungen für eine gerechtere, nachhaltigere und friedlichere Welt glaubhaft vermitteln, werden sie Mitstreiter*innen für ihre politischen Ziele finden.

Legitimität für den Status quo und Transformation

An dieser Stelle schließt sich ein vertrackter Kreis. Die Giving Pledge Initiative rechtfertigt den kapitalistischen Status quo ebenso wie den zivilgesellschaftlichen Einsatz gegen etwaige negative Effekte dieser Ordnung. Geworben wird also dafür, dass jene, die von den Ungleichheitseffekten der politischen Ökonomie profitieren, noch mehr Einflussmöglichkeiten bei der Gestaltung des Gemeinwohls bekommen sollen. So widersprüchlich das klingen mag, so verlockend ist die Erzählung. Schaut auf uns, sagen die Milliardär*innen, der Kapitalismus mag Ungleichheiten hervorbringen, doch die Erfolgreichen des wirtschaftlichen Wettbewerbs haben sich nicht zufällig durchgesetzt. Und sie wollen sich für das Gemeinwohl starkmachen, politische Diversität herstellen, orthodoxes Regierungshandeln herausfordern und wahre Transformationen anstoßen. Ob diese über alle Briefe hinweg entstehende Argumentation glaubhaft ist oder nicht, liegt im Auge des Betrachters. Die Argumentation steht den allgemeinen Plädoyers für mehr zivilgesellschaftliches Engagement in liberalen Demokratien aber sehr nah und lässt deshalb frontale Kritiken an einer vermeintlich elitären Philanthropie teilweise auflaufen. Daraus folgt keine pauschale Billigung für das philanthropische Handeln der Superreichen. Die Maßstäbe für eine robuste und gehaltvolle Bewertung und Kritik philanthropischen Handelns sind aber bisher nur ansatzweise formuliert worden.

1 Die Zahlen ergeben sich, wenn man die Forbesvermögensschätzung vom 17.3.2020 als Grundlage nimmt und großzügig annimmt, dass Gates und Zuckerberg seit dem Gründungstag von Microsoft und Facebook durchgehend an sechs Tagen die Woche jeweils 16 Stunden pro Tag gearbeitet haben.


PD Dr. Pascal Goeke forscht über verschiedene Facetten philanthropischen Handelns. Am IfL hat er eine von der DFG geförderte „Eigene Stelle“ und arbeitet an einer empirisch fundierten Theorie der transformativen Philanthropie im Anthropozän (mehr erfahren). Seine Auseinandersetzung mit der Giving Pledge Initiative ist ein Teil dieses Vorhabens.


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