Viele Kleinstädte stehen vor massiven finanziellen, infrastrukturellen, ökonomischen und damit gleichzeitig auch sozialen Herausforderungen. Auf der Suche nach Lösungen gehen Forschung und Politik in den vergangenen Jahren neue Wege und berücksichtigen dabei zunehmend auch die teils sehr unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten.
Im Projekt „Hidden Champions“ haben wir untersucht, welche wirtschaftliche und gesellschaftliche Relevanz Unternehmen für Kleinstädte haben und wie sie Stadtentwicklung mitgestalten (können). Hierzu haben wir unter anderem ihre wirtschaftliche Bedeutung vor Ort sowie die Erfahrungen und Aktivitäten von Unternehmen, städtischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren in Bezug auf Stadtentwicklungsprozesse beleuchtet. Mit dem Projekt soll ein umfassenderes Verständnis von unternehmerischem Engagement in Kommunen und Regionen erarbeitet sowie sich daraus ergebende Potenziale und Herausforderungen für Kleinstadtentwicklung diskutiert werden.
Kleinstädte sind doch eher rückständig und schwerfällig – oder?
Metropolen sind Innovationstreiber, Kleinstädte hingegen rückständig und schwerfällig – dieses Bild wird zumindest in der öffentlichen Diskussion häufig gezeichnet. Beim Blick auf die Landkarte sogenannter Hidden Champions, d. h. relativ unbekannter, aber dennoch (welt-)marktführender Unternehmen zeigt sich jedoch, dass jedes dritte dieser Unternehmen in einer Kleinstadt (weniger als 20.000 Einwohner) beheimatet ist – auch solchen in peripheren Lagen. Gerade in Oberfranken, in der württembergischen Hohenlohe, im Schwarzwald und im Südosten der Schwäbischen Alb sind viele dieser Unternehmen anzutreffen.
Zu diesen Unternehmen zählt auch die auf Verbindungstechnik spezialisierte Traditionsfirma EJOT im Sauerland. Von ihrem Hauptsitz in Bad Berleburg aus koordiniert das international aufgestellte Unternehmen die Aktivitäten seiner rund 3.000 Beschäftigten. Am Stammsitz werden zudem eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten durchgeführt. Weitere Beispiele von in Kleinstädten ansässigen Hidden Champions sind das oberpfälzische Unternehmen Holmer, das mit technischen Entwicklungen seit Jahrzehnten den Weltmarkt für selbstfahrende Zuckerrüben-Erntemaschinen dominiert, oder Kjellberg Finsterwalde – Technologie- und Markführer für Plasmaschneidtechnik mit Sitz im südlichen Brandenburg. Diese Beispiele zeigen: Erfindergeist und Unternehmertum sind auch abseits der Großstädte zuhause. Doch welche Potenziale gehen von diesen Unternehmen für Kommunen und Regionen aus, und wie lassen sich diese Potenziale für eine positive Stadtentwicklung nutzen?
Vorgehen unserer Studie
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben wir zunächst die wirtschaftliche Bedeutung von Hidden Champions in den Blick genommen und dazu quantitative Strukturdaten zu Unternehmen sowie Kleinstädten analysiert. Daran anknüpfend wurde anhand von drei unterschiedlich gelagerten Fallstudien die Beteiligung der Unternehmen an Prozessen der Stadtentwicklung betrachtet. Um die Motive für ihr Engagement zu beleuchten, haben wir in Bad Berleburg, Schierling und Finsterwalde Interviews mit Unternehmensvertretern und Akteuren aus Verwaltung und Bürgerschaft geführt.
Welche Rollen spielen Hidden Champions für Kleinstädte?
Die Ergebnisse der quantitativen Analysen heben die zentrale wirtschaftliche Bedeutung der Hidden Champions für ihr lokales und regionales Umfeld hervor. Im Mittel arbeiten knapp 20 Prozent aller Beschäftigten in der jeweiligen Kleinstadt für den örtlichen Hidden Champion. Folglich gehen mit der Präsenz dieser Unternehmen vor Ort wesentliche direkte Beschäftigungs- und Einkommenseffekte einher. Bezogen auf zentrale sozioökonomische Indikatoren zeigt sich in vergleichender Betrachtung mit Kleinstädten ohne Hidden Champions, dass die wirtschaftliche Situation der Kleinstädte mit Hidden Champions deutlich positiver ist.
Weiterhin macht die Analyse deutlich, dass es sich bei den in Kleinstädten beheimateten Hidden Champions überwiegend um ältere, in ihrer Region verwurzelte und familiengeführte Unternehmen handelt. Folglich kann vermutet werden, dass die Hidden Champions auch mit Blick auf ihr Engagement über die eigentliche Geschäftstätigkeit hinaus lokal und regional wirkungsvolle Unternehmen sind.
Wie und warum engagieren sich Unternehmen in der Stadtentwicklung?
Diese Vermutung bestätigte sich in unseren Fallstudien. Auch wenn sich Unterschiede in der Art des Engagements zeigen, konnten wir bei erfolgreichen, regional verwurzelten Unternehmen grundsätzlich eine ausgeprägte Bereitschaft der Unternehmen feststellen, Verantwortung beispielsweise in den Bereichen Kultur, Bildung und Soziales zu übernehmen. Diese reicht beispielsweise von punktuellen Geld- und Sachspenden bis hin zur Initiierung gemeinsamer Projekte wie dem multifunktionalen Veranstaltungsort „Jugendforum am Markt“ im Bad Berleburg.
Besonders intensiv ist das Engagement in Bereichen, die die eigenen Interessen der Unternehmen betreffen. Dahingehend stellen wir fest, dass Aspekte der Standortattraktivität aus Sicht der Unternehmen eng mit zentralen Themen wie Fachkräfteanwerbung und -sicherung oder Nachwuchsentwicklung verflochten sind. Die Unternehmen versuchen weiche Faktoren vor Ort aktiv mitzugestalten, insbesondere solche von denen auch die eigenen Beschäftigten profitieren – beispielsweise durch Förderung der Vereinslandschaft, (ideelle) Unterstützung und Schaffung kultureller Angebote, oder (finanzielle und planerische) Beteiligung an zentralen städtebaulichen Vorhaben. Darüber werden Schnittmengen zu den Interessen anderer örtlicher Akteure aus Verwaltung und Bürgerschaft hergestellt, und die Unternehmen sind auch über ihre wirtschaftlichen Wirkungen hinaus aktiv in die Gestaltung von Stadt- und Regionalentwicklungsprozessen eingebunden.
Was können wir für integrierte Stadtentwicklung lernen?
Um die Engagementbereitschaft der Unternehmen in Zukunft noch zielführender für die gemeinsame und partnerschaftliche Entwicklung von Kleinstädten zu nutzen, müssen vor Ort kollaborative Strukturen zwischen Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft geschaffen und gemeinsam konkrete Möglichkeiten des Engagements identifiziert werden. Dazu sollte „Stadtentwicklung“ weniger als abstrakter Prozess, sondern vielmehr als gemeinschaftliche Aufgabe mit spezifischen und konkreten Beteiligungsmöglichkeiten unterschiedlicher Akteure verstanden und kommuniziert werden.
Die ausführlichen Ergebnisse des Projekts mit zahlreichen Beispielen unternehmerischen Engagements sowie Ideen und Ansätzen, wie dieses Engagement in strategische Entwicklungsprozesse überführt werden kann, sind nachzulesen in einer Sonderveröffentlichung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
Franziska Görmar hat in Leipzig Kulturwissenschaften studiert und ist seit 2014 am IfL beschäftigt. Im Rahmen ihrer Dissertation befasst sie sich am Beispiel von Erneuerungsprozessen in altindustrialisierten Städten mit Fragen lokaler und regionaler Entwicklung.
Lukas Vonnahme ist mit kurzer Unterbrechung seit 2014 am IfL beschäftigt. Im Rahmen seines Dissertationsvorhabens interessiert er sich für die Entstehung von Wissen für unternehmerische Innovationen aus räumlicher Perspektive. Er hinterfragt in diesem Kontext gängige Narrative zu rückständigen, wenig innovativen ländlichen Räumen auf der einen und pulsierenden, innovativen (Groß-)Städten auf der anderen Seite.
Martin Graffenberger hat in Aachen Wirtschaftsgeographie studiert und befasst sich seit 2014 am IfL schwerpunktmäßig mit Innovationsaktivitäten außerhalb der Ballungszentren, Wissenstransferprozessen sowie kooperativer Kleinstadtentwicklung.