Stellenanzeigen von Unternehmen unterscheiden sich – je nach Standort

Der ländliche Raum ist rückwärtsgewandt und Städte fortschrittlich? Dass dieses Bild nicht stimmt, konnten wir bereits mit unserem Forschungsprojekt „Hidden Champions“ zu innovativen weltmarktführenden Unternehmen in peripheren Regionen zeigen. Demnach ist eine Vielzahl innovativer und marktführender Unternehmen in Deutschland in ländlichen Räumen ansässig. Jedoch wird dem ländlichen Raum häufig genau das nachgesagt. Und diese Wahrnehmung kann für die dort ansässigen Unternehmen bei der Suche nach qualifiziertem Fachpersonal unangenehme Folgen haben.

Standorte weltmarktführender Unternehmen in Deutschland (Quelle: Lang und Vonnahme 2019)

Im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundvorhabens „Horizonte erweitern, Perspektiven ändern“ hat das Leibniz-Institut für Länderkunde Praktiken des Wissenstransfers in agglomerationsfernen Räumen untersucht. Dazu wurden das Innovationsgeschehen in ländlich-peripheren Räumen charakterisiert und Unterschiede gegenüber Innovationsprozessen und Transferpraktiken in städtischen Verdichtungsräumen herausgearbeitet. Das Projekt beleuchtet außerdem die lebensweltlichen Präferenzen und Raumbilder unterschiedlicher Akteure im Wissenstransfer.

Im Vordergrund der hier vorgestellten Analyse von Stellenanzeigen stand dabei die Frage: Wie stellen Unternehmen in ländlichen Räumen den eigenen Standort in der Öffentlichkeit dar? Also, welche standortbezogenen Aspekte Unternehmen auf der Suche nach hochqualifiziertem (und damit sehr gefragtem) Fachpersonal betonen und ob sie dabei ggf. klassische Vorurteile und Bilder gegenüber ländlichen Räumen antizipieren und ihre Selbstdarstellung in der Öffentlichkeitsarbeit daran orientieren. Weiterhin interessierte uns, ob sich die Unternehmen hierbei von Unternehmen in Agglomerationsräumen unterscheiden.

Wie sind wir vorgegangen?

Um diese Aspekte zu beleuchten, haben wir öffentliche Stellenanzeigen des Stellenportals StepStone analysiert. In einer Stichprobe von 500 Unternehmen haben wir nach standortbezogenen Formulierungen gesucht und diese nach wiederkehrenden Darstellungsmustern ausgewertet. Aus dieser Stichprobe haben wir mehrfache Stellenausschreibungen vom gleichen Unternehmen (A1) und Stellenausschreibungen für Ausbildungen und Praktika ausgeschlossen (A2). Es verblieben 312 Stellenanzeigen. Diese relative kleine Stichprobe kann natürlich keinen umfassenden oder repräsentativen Überblick über die Zahl oder Formenvielfalt von standortbezogener Selbstdarstellung geben, aber sie ermöglicht einen ersten Einblick in die Strategien der Unternehmen an unterschiedlichen Standorten.

 Unternehmen GesamtUnternehmen urbanUnternehmen ländlich
Gesamtstichprobe500  
Ausschluss A1 (Ausbildung oder Praktika)19  
Ausschluss A2 (Stellenanzeigen bereits eingeschlossener Unternehmen)169  
Verbleibende Stellenanzeigen31228626
Anzahl der Unternehmen mit standortbezogenen Stellenbeschreibungen65578  

Was sind die Ergebnisse?

Zunächst fällt auf, dass der Anteil der Unternehmen mit Standort in ländlichen Regionen mit neun Prozent sehr niedrig ist. Zudem ist erkennbar, dass in der uns vorliegenden Stichprobe nur eine Minderheit der Unternehmen auf die Eigenschaften und Vorzüge des eigenen Standortes eingeht (ca. 21 Prozent bzw. 65 Unternehmen):

Wenn Unternehmen in den Stellenausschreibungen jedoch auf den eigenen Standort explizit Bezug nehmen, dann können die Formulierungen dazu geradezu schwärmerisch sein. So beschreibt ein Unternehmen der Stichprobe seinen Standort folgendermaßen:

Sportlich. Natürlich. Vielfältig.Ob Mountainbiking, Wandern oder Nordic-Walking; Ski fahren, Rodeln oder Schneeschuhwandern: […] mit stillen Bergseen, Schluchten und Wasserfällen in der Umgebung findet jeder, was sein Herz begehrt. Der größte Marktplatz Deutschlands, die markante Stadtkirche, das historische Besucherbergwerk oder der Friedrichsturm mit einem fantastischen Blick über die Stadt: […] [unser Ort] ist sehens- und erlebenswert.

(Unternehmen aus dem Hotelgewerbe in Baden-Württemberg. Quelle: Stepstone.de; abgerufen am 25.02.2020)

Bei der Untersuchung der Stellenanzeigen zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen Unternehmen mit Sitz in urbanen und ländlichen Regionen. Während jedes dritte Unternehmen im ländlichen Räumen mit standortbezogenen Aspekten warb, war es im urbanen Regionen nur jedes fünfte. Das lässt sich so interpretieren, dass Unternehmen aus ländlichen Räumen vermutlich ein verstärktes Bedürfnis haben, die (weichen) Vorteile des eigenen Standortes zu betonen. Diese Annahme deckt sich auch mit den Aussagen aus unseren Interviews mit Führungspersonal von Unternehmen in ländlichen Regionen:

„Wie gesagt, die Personen studieren in Stuttgart oder München und wenn wir dort eine [Master-]Arbeit ausschreiben und sagen ‚wir sind in Nördlingen‘ dann haben die meisten davon noch nie gehört und dann ist es schwer, die zu überzeugen.“

(Quelle: Interview mit Unternehmensführung aus Nördlingen)

Unternehmen in ländlichen Räumen scheinen also einem größeren Rechtfertigungsdruck zu unterliegen, was ihren Standort angeht und betonen in Stellenanzeigen deutlich häufiger die Vorteile des eigenen Standortes. Aber sie beschreiben den eigenen Standort auch anders.

Welche Strategien nutzen Unternehmen zur Darstellung des eigenen Standortes?

In der Analyse fielen zwei zentrale Strategien von Unternehmen zur Beschreibung eigener Standortvorteile in ländlichen Räumen auf: Zum einen Werbung mit der Naturlandschaft und den damit verbundenen Freizeitmöglichkeiten und zum anderen die Betonung „gefühlter“ räumlicher Nähe zu Agglomerationsräumen. Diese Strategien nutzen auch Unternehmen im urbanen Raum, jedoch im Verhältnis deutlich seltener. Zudem schienen die Unternehmen in ländlichen Räumen diese beiden Strategien zu präferieren, während Unternehmen in urbanen Kontexten andere Strategien deutlich häufiger nutzten.

Die Betonung der zum Unternehmensstandort nahegelegenen Naturlandschaft und den damit verbunden Freizeitmöglichkeiten kann von kurzen Verweisen

„Nicht zu vergessen – unser Strandortvorteil! Die hohe Lebensqualität an der norddeutschen Küste mit vielfältigen Sport- und Freizeitangeboten.“

(Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe in Niedersachsen. Quelle. Stepstone.de; abgerufen am 25.02.2020)

bis hin zu den bereits oben zitierten ausschweifend-schwärmerischen Darstellungen gehen.

Die Betonung gefühlter räumlicher Nähe zu Agglomerationsräumen kann schon bei den inserierten Ortsbezeichnungen beginnen. Ein starkes Beispiel in unserer Stichprobe war ein Unternehmen, das den Unternehmensstandort Rinteln als „Rinteln bei Bielefeld“ angab. Dabei trägt Rinteln das „bei Bielefeld“ weder im Ortsnamen noch in Slogans der Selbstvermarktung. Zudem liegt der 25.000-Einwohner-Ort knapp 50 km von Bielefeld entfernt und ist vom Ortsnamen in Deutschland nicht verwechselbar – womit es also keine engere räumliche Nähe oder zwingende Notwendigkeit für die Verwendung der Ortsbezeichnung „bei Bielefeld“ im Inserat gibt. Neben diesen eher subtilen Varianten, räumliche Nähe herzustellen, gibt es auch sehr explizite Ansätze:

Die [Unternehmensname], zwischen der Hauptstadt Berlin und der Metropole Dresden gelegen, produziert funktionale Materialien und entwickelt intelligente Systemlösungen für globale Kunden.

(Industrieunternehmen in Brandenburg. Quelle: Stepstone.de; abgerufen am 25.02.2020)

Das Unternehmen befindet sich mehr als 60 km von beiden genannten Großstädten entfernt.

Während die meisten Unternehmen tätigkeits- oder produktbezogene Fotos für ihre Inserate verwendeten, nutzen einige Unternehmen im weiteren Frankfurter Umland Themenbilder mit der Frankfurter Skyline, um räumliche Nähe zu suggerieren. (Quelle: Pixabay)

Unternehmen mit Standort in Agglomerationsräumen hingegen verweisen häufiger auf ihre zentrale Lage, den Metropolcharakter des Standortes oder branchenspezifische Alleinstellungsmerkmale der Stadt.

Die Betonung der zentralen Lage und der damit verbundenen, guten Erreichbarkeit findet sich in unterschiedlichsten Formulierungen in der Kategorie „Wir bieten:“ und kann zum Beispiel so aussehen:

„Ein zentrales und modernes Office im Herzen von Berlin“

(Servicedienstleister aus Berlin. Quelle: Stepstone.de; abgerufen am 25.02.2020)

Die Zentralität und Bedeutung des Standortes wird zudem auch durch die Hervorhebung des lokalen Metropolcharakters in größeren räumlichen Kontexten dargestellt:

 „Die [Name der Bildungseinrichtung] versteht sich als international renommierte Universität in der deutschen Hauptstadt, im Zentrum Europas.“

(Bildungseinrichtung in Berlin. Quelle: Stepstone.de; abgerufen am 25.02.2020)

„Wir bieten: […] Einen bevorzugten Standort mitten im Herzen der fränkischen Metropolregion“

(Servicedienstleister aus Bayern. Quelle: Stepstone.de; abgerufen am 25.02.2020)

Eine letzte, kleinere Gruppe betont branchenspezifische Standortvorteile der eigenen Stadt:

Unser Unternehmen [Unternehmensname] befindet sich am öffentlich gut zu erreichenden Medienstandort Unterföhring

(Medienunternehmen aus Bayern. Quelle: Stepstone.de; abgerufen am 25.02.2020)

Fazit

Zusammenfassend zeigt unsere Erhebung, dass bei der Herausarbeitung von Standortvorteilen in Stellenbeschreibungen durchaus ungenutztes Potential besteht – zum einen, um überhaupt häufiger einen Raumbezug herzustellen, aber auch dabei, sich beim Raumbezug von den Strategien anderer inspirieren zu lassen und nicht in klassische Beschreibungsmuster zu verfallen.

Im weiteren Verlauf des Forschungsprojektes werden wir nun untersuchen, wie standortbezogene Formulierungen in Stellenausschreibungen von potentiellen Bewerber*innen wahrgenommen werden und ob sicher der Lagetyp des Unternehmensstandortes und/oder die Standortdarstellung sich auf die Entscheidung für ein Unternehmen auswirken. Dafür nutzen wir die in der Erhebung festgestellten Muster zur Beschreibung der Standortvorteile, um fiktive Stellenanzeigen zu ländlichen und urbanen Standorten für eine Befragung unter Studierenden zu generieren. Mit dieser Befragung wollen wir prüfen, ob und inwieweit die räumliche Lage eines Unternehmens eine Rolle für die eigenen beruflichen Entscheidungen von Akademikern und Akademikerinnen spielt.

Weiterführende Quellen:

Graffenberger, Martin (2020): Impulse für die Region: Schlüsselakteure in ländlichen Räumen. In: Horizonte erweitern, Perspektiven ändern: ländliche Räume als Innovationsräume verstehen und fördern. Berlin: Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) des Fraunhofer IAO, Seite 15-24. Volltext

Graffenberger, Martin / Vonnahme, Lukas / Brachert, Matthias / Lang, Thilo (2019): Broadening perspectives: innovation outside of agglomerations. In: Innovation-based regional change in Europe: chances, risks and policy implications. Stuttgart: Fraunhofer Verlag, S. 47–64. Volltext

Graffenberge,r Martin (2019): Großstadt top! Kleinstadt Flop? Zur Zentrumsfixierung in gängigen Innovationsdebatten. Unternehmen Region 1/2019, S. 38–40. Volltext

Lang, Thilo / Graffenberger, Martin / Vonnahme, Lukas (2019): Innovationsräume. Berlin: De Gruyter Oldenbourg. 36 S. (Dialektik des Globalen – Kernbegriffe; 11)

Lang, Thilo / Görmar, Franziska / Graffenberger, Martin / Vonnahme, Lukas (2019): Hidden Champions und Stadtentwicklung. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung innovativer Unternehmen für Kleinstädte in peripherer Lage. Leipzig/Berlin: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).


Johannes Fenske studiert in Bremen Politikwissenschaft und unterstützt seit 2018 als wissenschaftliche Hilfskraft die Abteilung „Regionale Geographie Europas“ im IfL.

Thilo Lang leitet die Abteilung „Regionale Geographie Europas“ und ist Koordinator des Forschungsbereichs „Multiple Geographien regionaler und lokaler Entwicklung“ im IfL.

Martin Graffenberger hat sich am IfL schwerpunktmäßig mit Innovationsaktivitäten außerhalb der Ballungszentren sowie Wissenstransferprozessen und kooperativer Kleinstadtentwicklung. Seit April 2020 arbeitet er am Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ) in Leipzig und forscht dort im Themenbereich regionaler Bioökonomien.

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