Haudegen – eine deutsche Wetterstation auf Spitzbergen während des Zweiten Weltkriegs

Die Station „Haudegen“ kurz nach ihrer Fertigstellung im September 1944 (Bildquelle: IfL)

Am Morgen des 15. September 1944 beginnen die Männer von „U 307“ und dem Expeditionsschiff „Karl J. Busch“ rund 80 Tonnen Ausrüstung in einer einsamen Bucht Spitzbergens an Land zu wuchten. Neben Rohöl-, Petroleum- und Benzinfässern, etwa sieben Tonnen Kohle, Baumaterial, Funkausrüstung, Sprengstoff, Waffen und Munition werden auch 1200 Kisten Proviant abgeladen. „Die Kiste Nr. 5, kleiner in den Ausmaßen, enthält die reichlich bemessenen Alkoholrationen je Mann und Monat: drei Liter französischen Rotwein, eineinhalb Liter Kognak, einen Liter Steinhäger, drei viertel Liter Likör …“ (Tagebucheintrag W. Dege).

Vergessen in arktischer Kälte

Unter der Leitung des Geographen Dr. Wilhelm Dege wird unter strengster Geheimhaltung eine deutsche Wetterstation unter dem Decknamen „Haudegen“ errichtet. Sie soll das Marinekommando der deutschen Wehrmacht mit Informationen zum Wettergeschehen versorgen, um dem längst schon verlorenen Krieg die noch erhoffte Wendung zu geben. Der elfköpfige sogenannte Wettertrupp saß fest, wird nach Kriegsende fast vergessen und erst am 4. September 1945, fast vier Monate nach der Kapitulation, von einem norwegischen Robbenfänger evakuiert. Damit waren sie die letzten Soldaten der Wehrmacht, die sich den Alliierten ergaben.

Einzigartige Bilddokumente

Die Mannschaft und ihr Leiter Wilhelm Dege hielten das Leben in der Eiswüste Spitzbergens mit dem Fotoapparat fest und hinterließen der Nachwelt eine eindrucksvolle Sammlung von über tausend Schwarzweißnegativen und einige Dutzend Farbdias. Die Bilder sind über den Sohn des Expeditionsleiters, Eckart Dege, in den Besitz des Archivs für Geographie im Leibniz-Institut für Länderkunde gelangt. Hier werden sie zurzeit digitalisiert und in den Onlinekatalog aufgenommen. Es sind Bilder von arktischen Eiswüsten, zugefrorenen Fjorden und mickrigen Pflänzchen in Gesteinsspalten. Sie dokumentieren die dienstlichen Pflichten, wie den Einsatz von Radiosonden-Ballons, Temperatur- und Windmessungen mit Wetterinstrumenten oder die Aktivitäten im Funkraum. Aber es sind auch Fotos von Männerfreundschaften, von der Jagd auf Eisbären und Rentiere, vom Musizieren im Schnee, dem Feiern des Weihnachtsabends 1944, dem Besuch der selbst gebauten Sauna oder dem „Urlaub“ im Ausweichlager.

Musizieren in der Arktis (v. l.): Hannes Semkat, Helmut Reyer, Arthur Baumann, Heinz Grams und Heinz Schneider (Bildquelle: IfL)
In Modelpose: Stationsmitglied Heinrich Ehrich (Bildquelle: IfL)

Die Fotos zeigen aber auch, dass „Haudegen“ einem militärischen Zweck diente und kein Abenteuerausflug war: Für den Fall einer „Feindberührung“ hingen die Stielhandgranaten griffbereit an der Wand. Das Gebiet um die Station wurde vermint. Das Konterfei von Großadmiral Dönitz wachte von der Wand des Aufenthaltsraumes über das Tun seiner Soldaten.

Weihnachtsfeier mit Lametta, Sekt und Zigarre: Werner Schlösser, Heinrich Ehrich und Wilhelm Dege. An der Wand hängen Stilhandgranaten. (Bildquelle: IfL)
Jagd als Ausgleich zum eintönigen Stationsalltag: Helmut Reyer mit erlegtem Eisbär (Bildquelle: IfL)

Erlösender Funkspruch

Nachdem die Nachricht der Kapitulation im Mai 1945 auch nach Spitzbergen durchgedrungen war, beteiligte sich die Station aus eigenem Entschluss am Weltwetterdienst. Die Alliierten hielten die Zuverlässigkeit der Funksprüche für so selbstverständlich, dass der in „StationXO2“ umbenannte Außenposten einen festen Platz im weltumspannenden Wetternetz bekam. Diese Funktion behielt sie bis September 1945 bei.

Am Ende blieb die Rückkehr der Männer in eine weitgehend zerstörte Heimat. Die Station wurde vor der Abreise für Schiffbrüchige mit dem verbliebenen Proviant bestückt und verbarrikadiert, im Lauf der Jahrzehnte von zwei- und vierbeinigen Besuchern aber geplündert. Heute sind die Reste der Hütten gesichert und der Zutritt seit 2010 verboten.

Reste der Station „Haudegen“ im Jahr 1985 (Bildquelle: IfL)

Nicht alle Fotos haben den Lauf der Zeit unbeschadet überstanden. Viele sind durch Lichteinfall und chemische Prozesse verloren oder stark in Mitleidenschaft gezogen. Eine nachträgliche Bearbeitung mit einem Bildbearbeitungsprogramm war daher unumgänglich. Aus urheberrechtlichen Gründen sind die Fotos mit einem Wasserzeichen versehen (zum Katalogbestand).


Martin Toste ist Bibliothekar und Leiter der Kartensammlung am Leibniz-Institut für Länderkunde.

Literatur:

Czapka, Siegfried (2010): Am Rande des Nordpols. Ein deutscher Wettertrupp in der Arktis während der Kriegsjahre 1944/45. 4. Aufl., Königsbrück.

Dege, Wilhelm (2006): Gefangen im arktischen Eis. Wettertrupp „Haudegen“ – die letzte deutsche Arktisstation des Zweiten Weltkrieges. Hamburg.

Dege, Wilhelm (2004): War north of 80. The last German arctic weather station of World War II. Transl. from the German and ed. by William Barr. Calgary (Northern lights series; 4)

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