125 Jahre Länderkunde in Leipzig

Historische Atlanten und Globen zählen zu den Kostbarkeiten des IfL-Archivs. © IfL / Franziska Frenzel

Die Neubaupläne auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz haben das Leibniz-Institut für Länderkunde wieder stärker in das Bewusstsein der Leipziger Bevölkerung gebracht. Am jetzigen Standort in Paunsdorf war die geographische Forschungseinrichtung ein wenig aus dem Blickfeld geraten. Und dies, obwohl die „Länderkunde“ heuer auf 125 Jahre zurückschauen kann.

Wie alles begann

Die Anfänge waren bescheiden: 1891 bot der Geologe Alphons Stübel seine auf Expeditionen zusammengetragenen Sammlungen dem Rat der Stadt Leipzig als Schenkung an. In der damals üblichen Tradition der Forschungsreisenden hatte er auf seinen Erkundungen im Mittelmeerraum, in Vorderasien und vor allem in Südamerika alles zusammengeklaubt, was ihm zwischen die Finger gekommen war: Gesteine und Mineralien, Bücher, Karten, Fotografien, ethnographische und archäologische Artefakte. Die einzige Bedingung seiner Schenkung: Die Stadt müsse die Sammlung im Völkerkundemuseum öffentlich präsentieren. Die plante gerade einen Museumsneubau, und stimmte zu. Am 5. Februar 1896 war es soweit: Das Grassimuseum am Königsplatz (heute Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz) wurde feierlich eröffnet.

Hier begann 1896 die Geschichte des IfL: das Alte Grassimuseum am Königsplatz (heute Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz). Kolorierte Ansichtskarte, um 1905

Sogar das sächsische Königspaar gab sich die Ehre seiner Anwesenheit. Allerdings ist nicht überliefert, ob sich Albert und Carola für Geologie und Vulkanismus interessierten. Vermutlich nicht, und auch die Leipziger Öffentlichkeit dürfte die „Abteilung für vergleichende Länderkunde“ kaum wahrgenommen haben. Die Stübelsche Sammlung war zu wissenschaftlich und zu speziell ausgerichtet, sodass sich das Echo auf Forscher und Studenten beschränkte.

Licht und Schatten

Dies blieb auch nach dem Tode Stübels (1904) so, obwohl die Ausstellung um zwei populäre Bereiche, die sächsische Heimatkunde und die deutschen Kolonien, erweitert wurde. Von Anfang an war die räumliche Situation im Museum beengt und ließ keine größeren Erweiterungen zu. Der Erste Weltkrieg und die Inflation brachten den Museumsbetrieb zum Erliegen, und 1924 verkaufte die Stadt den Museumsbau an die Textilmeßgesellschaft. Es war vor allem dem Einsatz von Fritz Krause, dem Direktor des Völkerkundemuseums, zu verdanken, dass die Länderkunde beim Neubau des Museums am Johannisplatz mit bedacht wurde. Ihr stand im Neuen Grassimuseum ein ganzer Flügel zur Verfügung. Vor der Eröffnung am 1. September 1929 konnte der neue Direktor Rudolf Reinhard die rund 3000 Quadratmeter Fläche nach pädagogischen Prinzipien gestalten.

Das Neue Grassimuseum am Johannisplatz, seit 1929 Standort des Länderkunde-Museums. Ansichtskarte, um 1930
Blick in die Südamerika-Abteilung des Museums im Neuen Grassi. Ansichtskarte, um 1930

Als Geographielehrer wusste er die medialen Möglichkeiten der Geographie auszunutzen, und in häufigen Wechselausstellungen gelang es immer wieder, ein größeres Publikum in das Museum zu locken.

Doch der Erfolg erhielt schon bald Schattenseiten. Die Aufwertung zum „Deutschen Museum für Länderkunde“ 1935 und zum „Deutschen Institut für Länderkunde“ 1942 musste politisch erkauft werden. Das Museum diente sich der nationalsozialistischen Ideologie an. Ausstellungen wie „Die deutsche Saar“ (1933) oder „Der neue Reichsgau – Sudetendeutsches Land und Volk“ (1939) zeigten eine eindeutige Richtung.

Im Dienst des Sozialismus

Auch in der DDR erhielt das Museum eine politische Aufgabe. Ausstellungen zum Wiederaufbau, zu den wirtschaftlichen Erfolgen der DDR oder den befreundeten Bruderstaaten waren Bestandteil der sozialistischen Volksbildung. Doch seit Mitte der 1960er-Jahre bahnte sich das Ende des Museums an. Unter dem damaligen Direktor Edgar Lehmann nahm die Forschung einen immer stärken Einfluss auf die Arbeit des „Deutschen Instituts für Länderkunde“. Schließlich erfolgte 1968 die Angliederung an die Akademie der Wissenschaften. Die Museumstätigkeit wurde vernachlässigt, und 1975 wurde das Museum endgültig liquidiert. Für die geographische Wissenschaft hingegen erhielt das Institut eine zentrale Bedeutung für die gesamte DDR. Zuletzt unter dem Namen „Institut für Geographie und Geoökologie“ firmierend, betrieb man vornehmlich Auftragsforschungen für staatliche Stellen und war eine international anerkannte Institution.

Abwicklung und Neuanfang

Mit der Abwicklung der Akademie kam auch das Ende des Leipziger Instituts. Erneut musste sich die Einrichtung neu erfinden. Und es gelang, wenn auch in stark verkleinertem Umfang. Am 1. Januar 1992 fand die Neugründung unter Wiederaufnahme des Traditionsbegriffs „Länderkunde“ statt. In den letzten 30 Jahren hat sich das IfL erfolgreich in der nationalen und internationalen Wissenschaftslandschaft etabliert. Das Großprojekt „Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland“ (1998–2007), für das das IfL 2001 den Leipziger Wissenschaftspreis erhielt, verschaffte dem Institut im In- und Ausland große Aufmerksamkeit. Als roter Faden in der von zeitlich begrenzten Projekten geprägten Forschung gilt die regionalgeographische Erforschung des mittleren und östlichen Europa. Das IfL mit seinen rund 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist heute eine feste Größe in der Leipziger Raumwissenschaft, eng vernetzt mit zahlreichen Partnereinrichtungen im In- und Ausland.

Zurück in die Zukunft

Entwurf für das neue IfL zwischen Stadtbibliothek und geplanter Markthalle. © Henchion Reuter Architekten

125 Jahre sind für eine Forschungseinrichtung eine lange Zeit. Aber die Geschichte geht weiter. Nur einen Steinwurf entfernt von seinem Gründungsort wird das IfL ein neues Zuhause in der Innenstadt erhalten, lokal in Leipzig verankert und global vernetzt.


Dr. Heinz Peter Brogiato leitet seit 2000 die Abteilung Geographische Zentralbibliothek / Archiv für Geographie am IfL.