Skaten – zwischen Raumaneignung und Zugehörigkeit

Das Skateboard rollt über den neuen Betonboden. Auf der Sitzbank unterhält sich eine Gruppe von Skatern über neue Tricks und Skateclips. Ein paar Meter weiter sucht sich eine Skaterin ihren Weg durch das Rollsportgetümmel. Der Skatepark wurde vor wenigen Monaten gebaut und bietet viel Raum für jegliche Rollsportarten. Aber wer nimmt sich wie welchen Raum?

Skateboarding in der raumbezogenen Forschung?

Fest steht: Skateboarding ist Raumeinnahme, sodass bei einer sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Praxis des Skatens einige raumbezogene Fragen entstehen.

In meinem Praktikum am IfL beschäftigte ich mich mit Skateboarding aus einer raumbezogenen, sozialgeographischen Perspektive. Mit Blick auf frühere und aktuelle Entwicklungen im Skateboarding wollte ich der Frage nachgehen, welche Bedeutung verschiedene Verhaltens- und Raumaneignungsstrategien in Bezug auf die Zugehörigkeit zu der sogenannten Skate-Community haben und welche Schlüsse daraus gezogen werden können.

Skateboarding als teilnehmende Praxis muss nach Schweer (2014: 14) im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gedacht werden. Demnach können anhand dieser Freizeitpraxis gesellschaftliche Machtverhältnisse auf einer räumlichen Mikroebene sichtbar gemacht und Gegen- bzw. Handlungsstrategien für mehr Chancengleichheit und Empowerment erarbeitet werden, die auch auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen werden können.

Mental Mapping und Interviews

Um verschiedene Perspektiven und Erfahrungen sichtbar zu machen, habe ich leitfadengestützte Interviews geführt – in Anlehnung an die Walking-Interview-Methode in Form von „Skating Interviews“. Die Anzahl der Interviews und Mental Maps wird in diesem Projektrahmen jedoch keinem repräsentativen Gesamtbild gerecht. Um einen direkten emotionalen Bezug herzustellen, verabredete ich mich mit den Interviewpartner:innen zum Skaten, während die Interviews in den Pausen geführt wurden (vgl. dazu Kühl 2016: 35). Im Rahmen der Forschungsfragen nach räumlichen, subjektiven Wahrnehmungen, Aneignungsformen, (Un-)Sicherheiten und Grenzen, bietet sich die Methode der „Walking“ bzw. „Skating Interviews“ besonders gut an (ebd.).

Mental Map eines Skateparks (erhoben am 24.11.2022 in Leipzig)

Darüber hinaus wurden zwei Gruppen-Mental-Mappings im Soziokulturzentrum „HEIZHAUS Leipzig“ durchgeführt, in denen es um die Sichtbarmachung der persönlichen Wahrnehmung eines selbstgewählten Skateraums ging. Dafür wurden die Teilnehmenden gebeten, jene Bereiche mit roten oder gelben Klebepunkten zu markieren, die sie mit bestimmten Emotionen (rot = Angst, Ausgrenzung; gelb = Freude, Zugehörigkeit) verbinden. Die Auswertung erfolgte auf Grundlage der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018). Aus den Interview-Transkripten wurden Haupt- und Subkategorien gebildet, während aus den Mental Maps zunächst alle abgebildeten Komponenten verschriftlicht wurden. Im Anschluss wurde die Relevanz der Komponenten anhand ihrer Häufigkeit bestimmt. Dieser Prozess wurde auch für die rot und gelb markierten Orte umgesetzt. Daran anknüpfend bietet sich eine weitere Gegenüberstellung zwischen den Mapping-Ergebnissen und den Interview-Ergebnissen an.

Mental Map eines öffentlichen Platzes, der unter anderem zum Spazierengehen, Skaten, Joggen und als Wasserspielplatz genutzt wird (erhoben am 24.11.2022 in Leipzig).

Neue Räume in einer männlich dominierten Praxis

Die Projektergebnisse bieten Antwortmöglichkeiten auf die eingangs gestellten Fragen nach Verhaltens- und Raumaneignungsstrategien sowie nach Zugehörigkeit(en) im Skateboarding. Für ein repräsentatives Ergebnis benötigt es jedoch deutlich mehr Erhebungen.

Zusammenhänge zwischen Raumaneignungsstrategien und Zugehörigkeit konnten auf Grundlage der erarbeiteten Kategorien mit einem besonderen Fokus auf die Kategorien „Merkmale vom Skaten“, „Strategien im Skaten“, „Skatecommunity“ und „Herausforderungen“ erschlossen werden. Aus diesen wird beispielsweise die geläufige Beobachtung bestätigt, dass Skateboarding und demnach auch Räume des Skatens stark männlich geprägt sind (vgl. u. a. Beal 1996; Yochim 2010; Wood et al. 2014; Sobiech/Hartung 2017; Bäckström/Nairn 2018). Gleichzeitig berichten die Interviewpartner:innen von Entwicklungen, die neue Räume und Gruppen, neue Communities nach sich ziehen. Neben der männlich dominierten Praxis ergeben sich beispielsweise geschlechterspezifische Räume, Anfänger:innen-Räume und queere Räume. Mikroperspektivisch können Erkenntnisse dieser Entwicklung auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung bezogen werden, in der marginalisierte Personengruppen verstärkt Gehör erlangen und Gleichberechtigung sowie Räume einfordern, um sich so ihren Platz in der Gesellschaft zu nehmen.

Zugang verwehrt oder abgelehnt?

Mit diesen Entwicklungen verändern sich auch Praktiken und Codes des Skatens, die wiederum Narrative prägen. Raumaneignungsstrategien benötigen Räume, die angeeignet werden, sowie sowohl Personen, die diese Aneignung praktizieren, als auch Motive, die zur Aneignung führen. Zum einen nehmen sich Personen durch eine zeitliche Anpassung ihren Raum. Beispielsweise skaten sie dann, wenn der Ort eine niedrige Nutzfrequenz aufweist (Vermeidung, Anpassung). Zum anderen nehmen sich Personen durch das Auftreten in einer Gruppe Raum und erzeugen somit ein dominantes Erscheinungsbild. Zudem nehmen erfahrene Skater:innen Raum ein, indem sie durch ihre Expertise bestimmte Orte und Obstacles1 in einer hohen Frequenz nutzen (Durchsetzung). Oft sind es männliche Skater, die durch ihre Sozialisation bzw. Habitualisierung Skateorte einnehmen und soziale Dominanz ausüben. Ihre Praktiken und Codes gehen jedoch nicht mit den neueren Entwicklungen bzw. mit der sich entwickelnden Diversität des Skatens einher, wodurch es zu räumlichen (sozialen) Konflikten kommt. So, wie ein Interviewpartner folgendes erläuterte:

„[…] wenn so ein Raum bereits besetzt ist, dann ist es glaube ich sehr schwer da irgendeine Form von Zugang zu finden und weiß auch nicht ob das so gewollt ist.“ (IP2 #00:24:07-3#)

scheinen etablierte männliche Skategruppen kaum bereit, „ihre“ besetzten Räume zu teilen. Der Zugang hängt oftmals von Eigenschaften der „neuen“ Personen ab und inwiefern sie die Praktiken und Codes bedienen können. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass der Zugang in „etablierte“ Gruppen von Anfänger:innen gar nicht gewollt ist. Demzufolge entstehen mit der Entwicklung neuer Räume und Gruppen auch „neue“ Zugehörigkeiten und Abgrenzungen, die womöglich aus einer stärkeren Politisierung dieser raumbezogenen Praxis folgt. Indizien dafür wären beispielsweise das verstärkte Engagement gegen sexualisierte Gewalt, gegen Sexismus und anderen Diskriminierungsformen im Skaten.

Chancen und Grenzen der Raumaneignung

Zusammenfassend kann Zugehörigkeit über bestimmte Codes, Praktiken und Regeln (z. B. Kleidung, die Kultur des „sich Mitteilens“, Ansehen in der sozialen Gruppe, Schoner und Helme, Skateerfahrung) generiert werden, die sich in verschiedenen sozialen Gruppen unterscheiden. Eine dominante Raumaneignungsstrategie wird beispielsweise durch gesammelte Skateerfahrungen und somit durch die Nutzung bestimmter Obstacles und Tricks praktiziert. Damit einhergehend konzentrieren sich Personen mit ähnlichen Skateerfahrungen und einem ähnlichen Verständnis von Skatekultur oft in einer Gruppe. Es lässt sich beobachten, dass „neue“ Gruppen zur Sichtbarmachung von Problemen, Chancen und Machtverhältnissen im Skateboarding bzw. an Skateorten beitragen und neue Codes und Praktiken entwickeln. Das Projekt zeigt die Problematik bzw. Verabschiedung der Vorstellung von einer Skatecommunity und die notwendige Annahme mehrerer Skate- Communities/ Gruppen, die auf einer subkulturellen Mikroebene gesellschaftliche Diversität und Diskurse sowie Chancen und Grenzen widerspiegeln.

Zur Methodik

In Bezug auf das Mapping bestand zu Beginn das Ziel, biografische Daten der Teilnehmenden aufzunehmen (Gender, Skateerfahrung, Sexualität, berufliche Situation, sozioökonomischer Hintergrund, Religion, Alter, Migrationserfahrung bzw. -geschichte) und die roten bzw. gelben Markierungen im Kontext dieser Daten zu analysieren, um sich einem intersektionellen Ansatz zu nähern. Die Umsetzung entsprach jedoch nicht der ursprünglichen Idee, da die biographischen Daten nur lückenhaft aufgenommen wurden und ein intersektioneller Ansatz nicht angewendet werden konnte. Zudem erwiesen sich die zwei Farben und ihre Definitionen als ungenügend, da die Darstellung von Emotionen eine breitere Auswahl erfordert und Emotionen in diesem räumlichen Kontext dynamisch bzw. relational abhängig sind (z. B. von Anwesenden, der Zeit usw.). Aus diesem Grund wäre ein gleichzeitiges Interview mit der jeweils mappenden Person erkenntnisreicher gewesen, um stärker auf Details und den Kontext eingehen zu können. Des Weiteren hielten sich einige Mapping-Teilnehmende nicht an die Anweisung, wodurch es zu sehr verschiedenen Mapping-Formen kam. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass die Mapping-Methode unter anderem von zeichnerischen Fähigkeiten abhängig ist. So äußerten männliche Teilnehmende vermehrt ihre fehlende Fähigkeit zu zeichnen, während die Äußerung bei der „FLINTA*-Session“2 nicht vorkam.

Während der Durchführung der Interviews ließ sich einerseits beobachten, wie das Gesagte mit den stattfindenden Handlungen auf dem Skatepark übereinstimmte. Andererseits führte die direkte Präsenz des Skateparks dazu, dass die Interviewpartner:innen mit der Zeit unruhiger wurden und skaten wollten.  Darüber hinaus benötigt eine höhere Zahl an Interviewpartner:innen sowie eine detailliertere Auswertung einen größeren Zeitrahmen.

In Bezug auf meine persönliche Position als Skaterin und Forscherin ließ sich beobachten, dass die von mir untersuchten Codes und Praktiken des Skateboardings auch auf mich und das Machtverhältnis im Raum wirkten und somit auch meine Forschung beeinflussen.


1 „Obstacles“ bezeichnen im Rollsportkontext skatebare Elemente.

2 „FLINTA*-Session“ bezeichnet einen exklusiven (Schutz-)Raum (örtlich und zeitlich), in dem ausschließlich Personen zum Skaten eingeladen werden, die sich innerhalb des FLINTA* Spektrums einordnen. Das Akronym „FLINTA*“ bezeichnet Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans, agender Personen und alle, die sich nicht innerhalb der binären Geschlechterordnung verorten.


Thao Nguyen Yen Tran studiert Geographie mit den Schwerpunkten Migration, demographischer Wandel und regionale Entwicklung im Master an der Universität Jena. Ihr dreimonatiges Praktikum am IfL absolvierte sie in den Forschungsgruppen Geographien der Zugehörigkeit und Differenz sowie Mobilitäten und Migration.


LITERATUR

Bäckström, Åsa & Nairn, Karen (2018): Skateboarding beyond the limits of gender?: Strategic interventions in Sweden Leisure Studies, 37(4): 24-439 https://doi.org/10.1080/02614367.2018.1462397

Beal, Becky (1996). Alternative Masculinity and Its Effects on Gender Relations in the Subculture of Skateboarding. Journal of Sport Behavior, 19, 204-220. 

Kuckartz, Udo (2018): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung, 4. Auflage, Weinheim, Basel: Beltz Juventa.

Kühl, Jana (2016): Walking Interviews als Methode zur Erhebung alltäglicher Raumproduktionen. Europa Regional, 23.2015(2), 35-48. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-51685-8

Schweer, Sebastian (2014):Skateboarding. Zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf. Bielefeld: transcript Verlag.

Sobiech, Gabriele & Hartung, Sebastian. (2017). Geschlechtsbezogene Körper- und Raumaneignung in urbanen (Spiel-)Räumen am Beispiel Skateboarden. 10.1007/978-3-658-13098-5_15.

Wood, Lisa et al. (2014): Dispelling Stereotypes… Skate Parks as a Setting for Pro-Social Behavior among Young People. Current Urban Studies, 2, 62-73. http://dx.doi.org/10.4236/cus.2014.21007

Yochim, Emily Chivers (2010): Skate Life: Re-Imagining White Masculinity. University of Michigan Press. https://doi.org/10.2307/j.ctv65sw5s.

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