Differenzierende Darstellung von Geflüchteten in 2015 und 2022? Mediale Berichterstattungen im Vergleich

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat Millionen Ukrainer*innen aus ihrer Heimat vertrieben, welche schließlich in der EU Schutz vor dem Krieg suchten. Die Bereitschaft sowohl der Regierungen der europäischen Mitgliedstaaten als auch der Bevölkerung, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen, schien sehr hoch zu sein. So lebten in der zweiten Aprilhälfte 2022 laut einer Befragung des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften rund drei Viertel der befragten ukrainischen Geflüchteten bei Freunden, Familie oder anderen Privatpersonen (vgl. Pötzschke et al. 2022), was von einer starken Solidarität mit den Geflüchteten zeugt. Außerdem gelten besondere Maßnahmen für Geflüchtete aus der Ukraine, die unter anderem durch die Aktivierung der Massenzustromrichtlinie (2001/55/EG) beschlossen wurden. Im Rückblick auf die Fluchtbewegung 2015 aus dem Nahen Osten scheint diese Solidarität ein besonders hohes Ausmaß anzunehmen. Trotz der damals bereits in Deutschland ausgeprägten Solidarität mit den Geflüchteten machte sich in Teilen der Bevölkerung Europas und der europäischen Regierungen eine gewisse Skepsis angesichts der hohen Zahl an Geflüchteten bemerkbar.

Geflüchtete erster und zweiter Klasse?

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich hinsichtlich der Solidarität mit den Geflüchteten Differenzierungen herausbilden, die auch in öffentlichen Diskursen sichtbar sind. Im Rahmen eines studienbegleitenden Praktikums am Leibniz-Institut für Länderkunde in der Forschungsgruppe „Geographien der Zugehörigkeit und Differenz“ wollte ich dieser Frage nachgehen. Da die Massenmedien bedeutenden Einfluss auf die öffentliche Meinung haben, entschied ich mich, zu der oben skizzierten Problematik eine Medienanalyse durchzuführen. Sinnvoll erschien ein stichprobenartiger Blick auf die Darstellung der Geflüchteten in den Zeitungen der Jahre 2015 und 2022, um einen Einblick über eine mögliche Differenzierung zwischen Geflüchteten in der Berichterstattung zu erhalten. Die Untersuchung sollte mit Hilfe einer inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse die Frage beantworten, inwieweit Geflüchtete aus der Ukraine in der medialen Berichterstattung anders dargestellt werden als Flüchtlinge aus dem Nahen Osten im Rahmen der sogenannten Flüchtlingswelle 2015. Leitend waren dabei drei Aspekte:

  • die Förderung einer gemeinsamen Zugehörigkeit mit Geflüchteten oder einer gewissen Distanz zu ihnen,
  • die Darstellung von Geflüchteten als Gefahr für die innerstaatliche Sicherheit sowie
  • die Rolle von rassistischen Elementen in der Berichterstattung über Geflüchtete.

Um den möglichen Einfluss der politischen Ausrichtung der jeweiligen Zeitungen zu erfassen, wurden die politisch eher links orientierte Süddeutsche Zeitung und die als konservativ geltende Tageszeitung Die Welt ausgewählt. Der Zeitraum für die Auswahl der Stichprobe beläuft sich jeweils auf eine Woche in der Anfangsphase der Flucht, wobei für jeden Zeitraum fünf Artikel pro Zeitung, in denen über Geflüchtete berichtet wird, zufällig gezogen wurden. Es handelt sich hierbei also um eine kleine Stichprobe, aus der keine Verallgemeinerung für die ganze Berichterstattung der jeweiligen Zeitungen erfolgen kann. Es hat sich bei der Medienanalyse teilweise als herausfordernd herausgestellt, Texte in Deutsch – also einer Fremdsprache – auszuwerten. Als selbst Migrierte dürfte außerdem mein Blick auf die Frage ein anderer sein als der von Menschen ohne Migrationsgeschichte. Auf einige der Ergebnisse möchte ich gerne im Folgenden eingehen.

Betroffenheit versus negative Emotionen

In Bezug auf die Förderung von Gefühlen der Zugehörigkeit stellte sich die geographische Nähe zu ukrainischen Geflüchteten als wichtiger Faktor heraus. So wird ein Zusammenhang zwischen der Nähe der Ukraine zu Europa, dem Ernst der Lage und die Dringlichkeit der Flucht hergestellt. Durch die Betonung der Zugehörigkeit der Ukraine zu Europa wird auch unsere eigene Betroffenheit mit dem Konflikt hergestellt, was die Nähe zu den Geflüchteten fördert. Während solche Bezüge zu der geographischen Nähe in der Berichterstattung zu den Geflüchteten aus dem Jahr 2015 weniger zu finden sind, werden sie 2022 an manchen Stellen in den Artikeln der Welt als auch der Süddeutschen Zeitung hergestellt, Beispiele hierfür bieten folgende Zitate:

„Über dem Bürgerbüro hing die ukrainische Flagge, daneben die Fahne Europas, manche der Menschen auf dem Marienplatz trugen Masken und Mützen in den Landesfarben, Kinder hatten gelb-blaue Luftballons dabei und die Stadtkapelle spielte zum Auftakt der Mahnwache die ukrainische Hymne. Auf sichtlich schnell angefertigten Plakaten wurde zur Solidarität aufgerufen und zum Frieden; der Krieg, der da so unvermittelt mitten in Europa losgebrochen ist, hat die Menschen auch in Freising aufgewühlt.“ (Vogel 2022)

„Die meisten der Flüchtlinge aus der Ukraine sind bisher nach Polen gekommen. Das hat zum einen geografische Gründe: Die westukrainische Metropole Lwiw liegt nahe der polnischen Grenze. Zum anderen leben und arbeiten Zehntausende Ukrainer in Polen. Viele, die nun flüchten, haben dort Verwandte und Freunde.“ (Klauth 2022)

Nähe oder Distanz?

Ein weiterer Aspekt, über den sich eine Herstellung von Nähe und Distanz beobachten lässt, betrifft den Umgang mit einer wahrgenommenen Kluft zwischen den politischen Werten Deutschlands und Syriens. Besonders in der Berichterstattung der Welt aus dem Jahr 2015 finden sich distanzierende Stellen. Dies ist beispielsweise in dem Artikel der Fall, in dem die Äußerungen von Markus Söder, wonach in Deutschland nicht die Scharia gelte, wieder aufgegriffen wurden. Diese Äußerungen werden nicht explizit kritisch betrachtet. Eine aktive Kritik dieser Haltung hätte einer Verallgemeinerung aller Geflüchteten und deren Wahrnehmung als Bedrohung möglicherweise vorbeugen können und hierdurch skeptische Teile der Bevölkerung in dieser Hinsicht beruhigen können. In Bezug auf die Geflüchteten aus der Ukraine wurden die politischen Werte der Ukraine nicht explizit als nah zu unseren genannt. Jedoch ist anzunehmen, dass die oft angesprochene Zugehörigkeit der Ukraine zur sogenannten europäischen Familie nicht nur im geographischen Sinne zu verstehen ist, sondern tatsächlich auch in politischer Hinsicht. Dies wird beispielsweise an folgenden Textstellen aus der Welt und der Süddeutschen Zeitung erkennbar:

„Und ja, die Ukraine ist uns – in mehr als einer Hinsicht – näher als Mittelasien oder Nordafrika, auch das spielt eine Rolle. Es ist keine Schande, das einzuräumen. Es ist nur menschlich.“ (Büscher 2022)

„Schließlich werde in Europa seit Jahrzehnten an einer Friedensordnung gearbeitet. Nun befinde sich die Ukraine in einem Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung (…).“ (Vogel 2022)

Insofern scheinen in der Stichprobe politische Werte eine Rolle bei der Förderung von Nähe oder Distanz zu den Herkunftsländern der Geflüchteten und damit auch zu den Geflüchteten zu spielen.

Chance oder Risiko?

Als leitend für die Analyse war ebenfalls die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen der Ankunft der Geflüchteten und der Innenpolitik Deutschlands bzw. Europas. So wurde 2015 – deutlich mehr als 2022 – zu den wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitsbezogenen Folgen der Fluchtbewegung berichtet. Die voraussichtliche Integration der Geflüchteten wird in der Welt als mühsam und schwierig dargestellt, wodurch ebenfalls die Erwartung, dass Flüchtlinge eine Lösung des Fachkräftemangels darstellen, in Frage gestellt wird. Somit verlieren sie nicht nur hierdurch deren (fragwürdigen) Nutzen für Deutschland, sondern werden zum Teil als Last dargestellt. Dies zeigt sich etwa daran, dass die Zahl der arbeitslosen Geflüchteten als überproportional hoch beschrieben wird, ohne die tatsächlichen Hürden für den Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete den Leser*innen nachvollziehbar darzustellen. Über die Annahme, dass Geflüchtete im Jahr 2015 aufgrund der attraktiven Sozialleistungen nach Deutschland kamen, wird in beiden untersuchten Zeitungen kritisch berichtet. In Bezug auf die Geflüchteten aus der Ukraine spielt diese Angst keine bedeutende Rolle in der Berichterstattung.

Während 2015 in der Süddeutschen Zeitung über Orbans Wunsch, die Grenzen Ungarns zum Zweck der innerstaatlichen Sicherheit zu schließen, mit Distanz berichtet wird, finden sich in der untersuchten Berichterstattung der Welt keine Artikel, in denen Geflüchtete als Sicherheitsgefahr dargestellt werden. Allerdings findet sich 2022 in der Welt folgendes Zitat:

„Die Attentäter von Paris kamen über die Balkanroute, und solche, die dann in Deutschland schwere Straftaten verübten, auch. Das ist nicht zu vergleichen mit der Lage jetzt: Vor unserer Tür ist Krieg, und viele fliehen ihn.“ (Büschner 2022)

Zudem konnte ein Unterschied zwischen der Berichterstattung über Geflüchtete aus dem Jahr 2015 und 2022 derart festgestellt werden, dass 2015 laut der Berichterstattung unter den Flüchtlingen hauptsächlich junge, alleinstehende Männer waren. 2022 handelt es sich bei den Aussagen über Flüchtlinge hauptsächlich um Frauen mit Kindern. Dies ist zum Teil auf die Pflicht für ukrainische Männer zurückzuführen, die Ukraine militärisch zu verteidigen. Aufgrund dessen scheint ein Journalist der Welt besonders überrascht zu sein, afrikanische Männer unter den Geflüchteten aus der Ukraine zu sehen:

„Was auffällt: Unter den Geflüchteten sind viele Männer aus afrikanischen Ländern. Einer von ihnen ist Tom, 21 Jahre alt, aus dem Sudan. Er gehört zu den Zehntausenden aus Afrika, die in der Ukraine studieren und arbeiten.“ (Klauth 2022)

Diese Textstelle ist jedoch eine von ganz wenigen, in denen äußere Merkmale von Geflüchteten thematisiert werden. Dies erfolgt hier, indem über diese Studenten mit dem Adjektiv „afrikanisch“ im Kontext der Flucht aus der Ukraine berichtet wird, wodurch sie aufgrund von äußeren Merkmalen von der ukrainischen Bevölkerung gesondert angesehen werden. Die ursprüngliche Annahme, wonach rassistische Aussagen in der Darstellung von Geflüchteten eine Rolle spielen könnten, hat sich in der Stichprobe also als nichtzutreffend herausgestellt.

Fazit

Eine Differenzierung zwischen den Geflüchteten aus dem Jahr 2015, die hauptsächlich aus dem Nahen Osten kamen, und den Ukrainer*innen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen sind, scheint also in der Berichterstattung aus der Stichprobe in Ansätzen erkennbar zu sein. Jedoch spielen in der Berichterstattung die unterschiedlichen Kontexte der jeweiligen Fluchtbewegungen ebenfalls eine Rolle in der Darstellung der Geflüchteten, die im Rahmen dieser Medienanalyse nicht untersucht werden konnten. Die hier angerissene Problematik einer möglichen Differenzierung zwischen den Geflüchteten bietet Anlass, in Zukunft auch im Diskurs über Geflüchtete stärker auf eine gleiche Behandlung von Geflüchteten zu achten und diese tatsächlich zu gewährleisten, da – wie hier verdeutlicht – Gefühle von Zugehörigkeit oder Distanz auch durch Narrative gefördert werden können.


Mélanie Sanchez, ursprünglich aus dem französischen Lille, studiert Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Halle-Wittenberg. Im Sommer 2022 absolvierte sie am IfL ein zweimonatiges Praktikum in der Forschungsgruppe Geographien der Zugehörigkeit und Differenz.

Quellen:

Büscher, Wolfgang (2022): Das Ende der Säuseleien. Die Friedensbewegung hat sich wieder verändert. In: Die Welt, 01.03.2022.

Klauth, Jan (2022): „So schnell wird es kein Zurück geben“ – Viermal mehr Flüchtlinge als 2015 in Berlin. In: Die Welt, 03.03.2022.

Pötzschke, Steffen / Weiß, Bernd / Hebel, Anna / Piepenburg, Joachim G. / Popek, Oleksandra (2022): Geflüchtete aus der Ukraine – Erste deskriptive Ergebnisse einer Onlinebefragung in Deutschland und Polen. In: https://blog.gesis.org/gefluchtete-aus-der-ukraine-erste-deskriptive-ergebnisse-einer-onlinebefragung-in-deutschland-und-polen/, zugegriffen am 28.09.2022.

Vogel, Kerstin (2022): Entsetzen im Landkreis Freising. Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. In: Süddeutsche Zeitung, 23.02.2022.

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