Luftbilder aus der DDR – Die Sammlung Lothar Willmann

Die Welt von oben zu betrachten, ist kein Privileg mehr. Man findet aus fast jedem Winkel der Erde Luftbilder und Satellitenaufnahmen frei zugänglich im Internet. Vor wenigen Jahrzehnten sah das noch völlig anders aus, musste jedes Luftbild staatlich genehmigt werden. Zu groß schien die Gefahr, dass vermeintlich militärische Informationen an Unbefugte gelangt. In den Ländern des Warschauer Paktes war die Angst vor Spionage besonders ausgeprägt. Großmaßstäbliche topographische Karten und Luftaufnahmen galten in der DDR als „Vertrauliche Verschlusssache“ und unterlagen der Zensur. Daher kann es nicht verwundern, dass es kaum Luftaufnahmen aus der Zeit zwischen 1949 und 1990 gibt.

Motive aus drei Jahrzehnten

Das Archiv für Geographie im Leibniz-Institut für Länderkunde konnte seine schon zuvor reichhaltigen Luftbildbestände vor einigen Jahren durch die Übernahme der Sammlung Lothar Willmann erheblich vergrößern. In den vergangenen Monaten hat unser Kollege Martin Toste fast dreitausend Aufnahmen digitalisiert und katalogisiert. Sie entstanden über mehr als dreißig Jahre hinweg, sodass von vielen Motiven verschiedene Aufnahmen aus unterschiedlichen Jahren einen zeitlichen Vergleich ermöglichen.

Zwischen Werbung und Fotokunst

In den 1960er-Jahren hatte sich der gelernte Fotograf als Angestellter bei der Fluggesellschaft „Interflug“ auf die Luftbildnerei spezialisiert. Für die staatliche Airline der DDR publizierte er erstmals einen Werbekalender mit Luftaufnahmen. Sein erstes Buch erschien 1968 unter dem Titel „Luftbilder aus der DDR“. In der Einleitung erläutert der Textautor Werner Bräunig das Zustandekommen der Fotografien und hebt die künstlerischen Aspekte hervor:

„Die Poesie eines guten Fotos geht vom Objekt aus, zu dem der Mensch in Beziehung tritt – diese Beziehung entscheidet über Gegenstand und Aussagemöglichkeit, die Beherrschung der Technik ist bloße Bedingung. […] Lothar Willmann sucht Landschaft zu erschließen, indem er ihrer Spezifik nachspürt mit den keineswegs unbegrenzten Möglichkeiten der Kamera“ (S. 7–8).

Viele weitere Fotobände Willmanns folgten, darunter „Überflug. Die DDR aus der Vogelperspektive“, erschienen 1983 im Leipziger Brockhaus-Verlag und als Lizenzausgabe 1984 im Gondrom-Verlag, Bayreuth. In den 1980er-Jahren durfte Willmann keine neuen Luftbilder machen, erst nach der Friedlichen Revolution setzte er seine Tätigkeit als Luftbildfotograf fort. So erschienen noch Luftbildbände über Landschaften und Städte im Ullstein-Verlag (Berlin 1991, Brandenburg 1993), schließlich noch ein Band über Dresden (1998). Lothar Willmann war sicher einer der bekanntesten Fotojournalisten der DDR und der bedeutendste Luftbildfotograf.

Auftragsarbeiten im Dienst des sozialistischen Aufbaus

Die frühen Aufnahmen aus den 1960er-Jahren zeigen in den Innenstädten noch zahlreiche Spuren des Krieges: große Brachflächen, zerstörte Gebäude, provisorische Bebauung, daneben aber auch die neu entstehenden Wohngebiete, breite innerstädtische Magistralen, große Industriekomplexe mit qualmenden Schloten.

Halle-Neustadt: Grünanlagen am Frauenbrunnen, ca. 1976
Der größte neue Wohnstandort der DDR entstand seit 1964 für die Arbeiter der Chemischen Industrie (Leuna, Buna). In den 1980er-Jahren wohnten in Halle-Neustadt mehr als 90 000 Menschen.

Auf den Bildern aus den 1970er-Jahren wird das Ziel noch deutlicher: Sie sollten die Erfolge des sozialistischen Städtebaus, die Lösung der Wohnungsnot und den Aufbau moderner technischer Infrastruktur zeigen. Diese Aufnahmen waren Auftragsarbeiten der Bauakademie und des Verkehrsministeriums. Ein dominantes Motiv bilden Großwohnsiedlungen am Rand der Innenstädte, häufig in den Bezirksstädten als den Zentren des Wohnungsbaus, aber auch in anderen Mittelstädten. Erwähnt seien hier nur die 1975 aufgenommenen zahlreichen Motive aus der Retortenstadt Halle-Neustadt. Etwas überraschend finden sich aber auch Luftbilder von strategisch relevanten Objekten, z. B. von großen Industriekombinaten wie der Erdölraffinerie in Schwedt oder dem Armaturenwerk in Magdeburg.

VEB Magdeburger Armaturenwerke „Karl Marx“, 1966
Seit 1873 werden am Standort Magdeburg-Stadtfeld West Armaturen produziert. In der DDR war der Betrieb einer der größten Gusshersteller.

Wertvolle historische Dokumente

Die Luftbild-Sammlung Lothar Willmann gibt erstaunliche fotografische Einblicke in die DDR der 1960er- und 1970er-Jahre. Viele Aufnahmen wurden von der staatlichen Zensur einkassiert, aber es bleibt ein respektabler Rest. Die Fotos laden ein zum Blick von oben auf ein Land, das an seinen eigenen Ansprüchen scheiterte. Dokumentiert werden Städte und Kulturlandschaften, fast ausschließlich in Schrägluftbildern, aus unterschiedlichen Flughöhen, auf Schwarz-weiß- oder Farbfilmen, als Panorama oder im Detail. Man kann mit den Luftbildern auf Spurensuche gehen, sie als historische Dokumente stehenlassen oder sie mit heutigen Luftaufnahmen vergleichen.

Leipzig um 1965: Die Innenstadt als Parkplatz
Die provisorisch bebaute Hainspitze und die als Parkplatz genutzte Kriegsbrache am Matthäikirchhof prägen das Bild der nordwestlichen Innenstadt Leipzigs in den 1960er-Jahren.

Die Datensätze im Bibliothekskatalog sind angereichert durch inhaltliche Schlagworte, die die Suche nach bestimmten Orten oder Motiven erleichtern. Darüber hinaus enthalten sie die Blickrichtung des Fotografen und die Koordinaten, mit deren Hilfe man leicht die heutige Situation im Internet finden und vergleichen kann. Gleiches gilt für den Link zu OpenStreetMap, wo man den fotografierten Ort in der großmaßstäbigen Karte oder im Stadtplan findet.

Gerne stellen wir die Fotografien für Ausstellungen oder andere öffentlichkeitswirksame Präsentationen zur Verfügung. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an: archiv@leibniz-ifl.de


Heinz Peter Brogiato leitet am IfL die Abteilung Geographische Zentralbibliothek/Archiv für Geographie

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