In der Medizin spielt die Transplantation eine lebensrettende Rolle. Eine der Grundvoraussetzungen ist ein gut organisiertes System der Organbeschaffung und -verteilung. In Bosnien und Herzegowina stellen politische, bürokratische und gesellschaftlichen Hindernisse dieses System vor große Herausforderungen. Die Ursachen dieser Hindernisse sind in der Geschichte des Landes verwurzelt. Nach dem Dayton-Abkommen (DPA) von 1995, das die Jugoslawienkriege zu Beginn der 1990er-Jahre beendete, blieb Bosnien und Herzegowina ein geteiltes föderales Land mit komplizierten politischen Strukturen: Die beiden Teilrepubliken der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska sind in vielen politischen Fragen autonom und orientieren sich außenpolitisch in unterschiedliche Richtungen. Gleichzeitig behindern überlappende Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Ebenen die Durchsetzungsfähigkeit der gesamtstaatlichen Regierung. Auch deshalb ist es bis heute nicht gelungen, ein einheitliches und effektives Gesundheitssystem zu schaffen (vgl. Miggelbrink und Meyer 2023).
Fragmentierung mit Folgen
Die Föderation Bosnien und Herzegowina und die Republika Srpska haben jeweils eigene Gesundheitsministerien und -systeme. Die Folge ist ein fragmentiertes Gesundheitssystem, das die Effizienz und Qualität der Transplantationsdienste beeinträchtigt. Im klinischen Bereich kämpfen die Gesundheitsdienstleister mit unzureichender Infrastruktur, mangelnder Finanzierung und fehlender politischer Unterstützung. Dies führt zu einem Mangel an notwendigen Medikamenten, diagnostischen Geräten und qualifiziertem Personal. Viele Krankenhäuser verfügen nicht über die notwendige Ausstattung zur Feststellung des Hirntods, was eine Grundvoraussetzung für die Organspende ist. Hinzu kommen gesellschaftliche und kulturelle Probleme: Misstrauen und Korruption sind weit verbreitet, was das Vertrauen der Bevölkerung in das Gesundheitssystem untergräbt; Gerüchte über Korruption verschärfen die Situation und führen zu einer geringen Bereitschaft zur Organspende.
Vielschichtige Problemlagen
Die qualitative Analyse von Miggelbrink und Meyer (2023) auf der Basis von Daten, die im Zeitraum 2016 bis 2019 erhoben wurden, hebt mehrere zentrale Themen hervor, die die Transplantationsmedizin in Bosnien und Herzegowina prägen:
- Hindernisse in der klinischen Praxis: Die Untersuchung zeigt, dass klinische Fachkräfte ständig mit Herausforderungen konfrontiert sind, die ihre Arbeit behindern. Diese Hindernisse umfassen den Mangel an Ressourcen, die unzureichende Ausbildung und Unterstützung durch die Regierung sowie die fehlende öffentliche Aufklärung und Förderung der Organspende.
- Bürokratie nach Dayton: Die komplexe und ineffiziente bürokratische Struktur, die durch das Dayton-Abkommen geschaffen wurde, ist ein weiteres zentrales Thema. Die verschiedenen politischen Entitäten und ihre Unfähigkeit zur Zusammenarbeit führen zu Verzögerungen und Hindernissen bei der Implementierung nationaler Gesundheitsstrategien und internationaler Kooperationen, wie z. B. mit Eurotransplant.
- Misstrauen und Korruption: Misstrauen und Korruption stellen eine erhebliche Barriere dar. Gerüchte über Transplantationstourismus und Korruption im Gesundheitswesen untergraben das Vertrauen der Bevölkerung in das System. Einige Patienten suchen deshalb alternative und oft intransparente Wege, um lebensrettende Transplantationen zu erhalten, was das Problem weiter verschärft.
Fazit
Um die Probleme der Transplantationsmedizin in BiH zu überwinden, sind umfassende Reformen und eine verstärkte internationale Zusammenarbeit notwendig. Die Schaffung eines funktionierenden und vertrauenswürdigen Systems der Organbeschaffung und -verteilung erfordert nicht nur technische und finanzielle Ressourcen, sondern auch einen Wandel in der politischen Kultur und im öffentlichen Bewusstsein.
Über den Autor
Dr. Frank Meyer ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe „Geographien der Zugehörigkeit und Differenz“ am IfL. Er forscht unter anderem zu Geographien des Handels mit menschlichem Gewebe. Sein Blogbeitrag basiert auf einem Artikel, den er gemeinsam mit Prof. Dr. Judith Miggelbrink 2022/2023 verfasst hat.
Literatur:
Miggelbrink, Judith / Meyer, Frank (2023): Geopolitics, paralysis and health policy. On the implications of the Dayton Peace Accords for Bosnia & Herzegovina’s transplantation system. In: Geopolitics, 28(4), 1562-1588. https://doi.org/10.1080/14650045.2022.2078705