Wie soll es nach drei Jahren Geographiestudium an der TU Dresden weitergehen? Wo möchte ich später arbeiten? Welche Fähigkeiten zeichnen mich eigentlich aus?
Fragen über Fragen schwirrten mir in den vergangenen Monaten chaotisch durch den Kopf, wobei sie alle eines gemeinsam hatten: Eine Antwort hatte ich bisher auf keine von ihnen. Erst im Februar dieses Jahres hatte ich ein Auslandssemester an der Université Grenoble Alpes in Frankreich vollendet, welches mich besonders für Gletscherkunde und Risikomanagement in alpinen Regionen begeistern konnte. Andererseits hatte ich mich durch meine Recherchen als studentische Hilfskraft an der TU Dresden genauso für humangeographische Forschungsbereiche interessiert, wie beispielsweise für Ansätze einer global gemeinsamen Gesundheitspolitik (One Health). Doch wollte ich in Zukunft wirklich eine Laufbahn in der Forschung einschlagen?
Einfach mal einen Blick in die Praxis werfen
Um dieser entscheidenden Frage auf den Grund zu gehen, absolvierte ich von Mai bis Juni 2021 ein sechswöchiges Praktikum am IfL, in der Forschungsgruppe Geographien der Zugehörigkeit und Differenz. Diese beschäftigt sich im Rahmen ihrer langjährig entwickelten Grenzforschung zurzeit verstärkt mit Fragen der Sicherheit und Kriminalität an Grenzen.
Paula Phan:
Frau Beurskens, wie ist Ihre Forschungsgruppe auf die Projekt-Thematik gestoßen, und weshalb spezialisieren Sie sich auf den Umgang mit Sicherheit an der deutsch-polnischen Grenze?
Kristine Beurskens:
Die Projektidee reicht in das Jahr 2014 zurück, damals kam ich gerade ans IfL und dachte über neue Themen und Fragen in der Grenzforschung nach. Von meinen Eltern, die in Schwedt/Oder wohnen, hörte ich damals einiges darüber, wie der Schutz von Eigentum an der Grenze in der lokalen Presse diskutiert wurde. Da gab es Anleitungen zum Auftragen unsichtbarer DNA-Markierungen, an Autos zum Beispiel, aber auch den Aufruf, sich gegenseitig zu unterstützen in der Nachbarschaft. Das schien irgendwie spannend – gerade weil doch die inneren Grenzen in der EU sonst besonders ein Zeichen für Offenheit und Kooperation waren. Mit Judith Miggelbrink, die damals noch am IfL war, tauschten wir uns dazu aus und entwickelten die Idee, diese unbequeme Seite der Binnengrenzen des Schengenraums genauer anzusehen. Wir wollten herausfinden, wie es eigentlich dazu kommt, dass Aufgaben der Grenzsicherung zum Teil auf die Bevölkerung übergehen, welche Begründungen und praktischen Fragen damit verbunden sind – und wie sich damit vielleicht auch das Verständnis von Grenzen in der EU ändert.
Unter Leitung von Kristine Beurskens (IfL) und Judith Miggelbrink (TU Dresden) sowie unter Mitarbeit von Nona Renner (IfL) wird in dem Projekt (Un-)Sicherheit an der Schengen-Binnengrenze. Sicherheitsbezogene Praktiken staatlicher und nicht-staatlicher Akteure an der deutsch-polnischen Grenze analysiert, wie
- der Zusammenhang von Sicherheit und Grenze diskursiv und in alltäglichen Praktiken hergestellt und
- das Verhältnis von staatlichen und nicht-staatlichen Praktiken der Grenzsicherung an der deutsch-polnischen Grenze ausgehandelt wird.
Paula Phan:
Frau Renner, in Ihrem Projekt kommen vor allem qualitative Methoden zur Anwendung. Jedoch wird die qualitative Feldforschung seit ca. 17 Monaten durch die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie stark eingeschränkt. Inwiefern mussten Sie von Ihren ursprünglich geplanten Untersuchungsmethoden abweichen?
Nona Renner:
Ende März 2020 wurde der Staat von heute auf morgen wieder sichtbarer aktiv in der Grenzsicherung, und die Dringlichkeit, privat für Schutz zu sorgen, hat sich plötzlich verschoben. Zusätzlich ist es so, dass die mediale Berichterstattung über Sicherheitsvorsorge durch Bürgerinnen und Bürger an der deutsch-polnischen Grenze in den vergangenen Jahren stark abgenommen hat. Wir waren also mit der Situation konfrontiert, dass wir kaum Anhaltspunkt hatten, wir wussten nicht, auf wen wir zugehen konnten und ob sich unser Forschungsgegenstand vielleicht sogar komplett verändert hat. Nicht-staatliche Akteure, die sich kollektiv organisiert für Sicherheit engagieren – und die interessieren uns ja besonders –, sind dadurch erstmal in den Hintergrund getreten und ich habe Interviews – meist über Zoom oder telefonisch – mit staatlichen Akteuren und vereinzelt auch mit Bewohnern der Grenzregion geführt. Um trotz Distanz einen Eindruck vom Alltag zu erhalten, bat ich einen Teilnehmer, Fotos zum Interview mitzubringen. Intensive Recherchen der studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Beharrlichkeit führten in den letzten Monaten doch noch zu Personen, die angebunden an staatliche Institutionen aktiv sind. Das Nicht-vor-Ort-sein-Können hat meine Forschung entscheidend beeinflusst: Der Kontaktaufbau zu Personen war sehr unvermittelt und zugleich unpersönlich, in den Interviews sprachen wir über Orte, an denen ich noch nie war, der Bildschirm erlaubte mir Einblick in einen nur 13 Zoll großen Ausschnitt der Umgebung. Die jetzt einsetzenden Lockerungen ermöglichen mir Vieles nachzuholen. Letzte Woche war ich endlich mal wieder im Feld.
Multi-Perspektiven der Grenzsicherheit: Mehr-als-menschliche Grenzen
Während sich ein bedeutender Teil des Projektes mit dem Sicherheitsgefühl an Grenzen beschäftigt, setzte ich mich in meiner eigenen Forschungsfrage insbesondere damit auseinander, wie sich Diebstahl in der Landwirtschaft in Grenznähe äußert und welche Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit ergriffen werden. In einer Unterfrage zu dieser Thematik beschäftigte ich mich zudem mit Grenzziehung in Bezug auf nicht-menschliche Akteure, konkret mit Wildschutzbarrieren zur Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest. In diesem Rahmen untersuchte ich, wie mehr-als-menschliche Grenzpraktiken ausgehandelt werden und Regierungspraktiken materialisiert werden. Anhand dieser Aufgabe konnte ich mir grundlegende Fähigkeiten zur methodischen Ausarbeitung einer wissenschaftlichen Forschungsfrage aneignen und zugleich anwenden. Damit war ein Grundstein für meine kommende Bachelor-Arbeit gelegt!
Was ich aus dem Praktikum mitnehme
Trotz der COVID-19-Pandemie konnte ich im Home-Office dank virtueller Videokonferenzen und regem E-Mail-Austausch ein abwechslungsreiches, spannendes Praktikum absolvieren. Von Literaturrecherchen, der Ausarbeitung einer eigenen Forschungsfrage bis hin zur Erarbeitung eines Workshops für das Jahr 2022 konnte ich in viele Tätigkeiten der Forschungsgruppe hineinschnuppern und einen Eindruck vom Berufsfeld einer Wissenschaftlerin in der geographischen Forschung gewinnen. Themen, die mich dabei besonders interessierten waren in der Forschungsrichtung der More-than-human Geographies angesiedelt, zu der im nächsten Jahr in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg auch ein Workshop stattfinden soll.
Wer weiß, vielleicht werde ich in einigen Monaten sogar als studentische Hilfskraft die Organisation des Workshops mitunterstützen können. An Zukunftsperspektiven sollte es mir zumindest nicht mehr fehlen.
Paula Phan studiert seit Oktober 2018 Geographie an der TU Dresden. Von Mai bis Juni 2021 absolvierte sie ein sechswöchiges Praktikum am IfL.
Der Beitrag "Raus aus der Uni – ab in die Forschung: Praktikumseinblicke einer Dresdner Studentin" von Paula Phan ist wortgleich im Blog des Studiengangs Geographie der TU Dresden veröffentlicht.