Ausgrenzung sichtbar machen – ein Theaterprojekt im öffentlichen Raum

© Raisan Hameed

Anhand von Forschungsergebnissen aus dem Projekt Alltagserfahrungen junger Geflüchteter und Asylsuchender im öffentlichen Raum (EEYRASPS) haben wir im Sommer 2021 gemeinsam mit Betroffenen eine performative Aktion für den öffentlichen Raum der Stadt Leipzig erarbeitet. Unser Plan: Wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt in eine emotional zugängliche künstlerische Aufführung zu übertragen. Im Mittelpunkt standen die vielfältigen Erfahrungen von Geflüchteten und Migrant*innen, Gefühle des Fremdseins, die Orientierungssuche und das Erleben von Ungerechtigkeit, die in Workshops und Gesprächen deutlich geworden waren.

Mithilfe der Performance sollten die Migrant:innen sich trotz ihrer schwierigen Erfahrungen mit Leichtigkeit, Mut und Zusammenhalt den öffentlichen Raum aneignen und selbst das Wort ergreifen. Aus der Unsichtbarkeit ein Stück weit herauszutreten, ohne sich Illusionen hinzugeben, darum ging es in allererster Linie.

Durch die Präsentation im öffentlichen Raum der Stadt Leipzig sollte ein größeres Publikum erreicht und für die Thematik sensibilisiert werden. Außerdem wollten wir interessierten jungen Menschen mit und ohne Flucht- oder Migrationserfahrungen die Möglichkeit geben, sich innerhalb künstlerischer Experimentierfelder den Themen aus dem Forschungsprojekt zu nähern und eigene Ideen im Rahmen einer performativen Aktion umzusetzen.

Für die Konzeption der Theaterperformance waren zunächst folgende Fragen leitend: Wie erleben junge Geflüchtete und Migrant*innen den öffentlichen Raum? Wie eignen sie sich „öffentlichen Raum“ an und (re-)imaginieren ihn?

In der Vorbereitung zur Inszenierung wurde beschlossen, die Themen Würde und Scham in Verbindung mit der Befragung des öffentlichen Raumes zu nutzen, da beide Aspekte eng verbunden sind mit Gefühlen des „Fremdseins“ oder des „Nicht-Dazugehörens“. Erfahrungen mit Rassismus oder Solidarität, die Geflüchtete und Migrant*innen in einem neuen Land sammeln, sind eng geknüpft an Zuschreibungen von anderen, aber auch an die Möglichkeiten bzw. Hindernisse, am neuen Wohnort Anschluss und Orte zu finden, an denen man sich wohlfühlt.

Wie fühlt sich Fremdsein an?

Die Probenphase für die Theaterperformance begann im Spätsommer 2021 in der „Garage Ost“ im Leipziger Osten. Nach intensiver Bekanntmachung des Projekts über Flyer, E-Mail-Verteiler, Newsletter und die Social-Media-Kanäle von interaction e. V. konnten acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Chile, Deutschland, Nigeria, Spanien, Syrien und den USA gewonnen werden. Die Theaterpädagogin Laura Kröner und die Assistentin Rua Dawod begleiteten die Gruppe. Im Mittelpunkt stand zunächst die Auseinandersetzung mit Erfahrungen im öffentlichen Raum, die mit Scham, Würde, Rassismus, Sexismus u. a. in Zusammenhang stehen.

Die zentrale Szene der Inszenierung geht auf die Idee eines Teilnehmers aus Nigeria zurück. Ihm war es ein besonderes Anliegen, der Situation Geflüchteter, insbesondere schwarzer Geflüchteter, Gehör zu verschaffen. Dargestellt wird eine Situation, in der er offenkundigen, aber stillen Vorurteilen und Rassismus in der Tram begegnet. Aus dieser Szene heraus entwickelte die Gruppe mit ihm einen Monolog, der zunächst beschreibt, wie er sich fühlt und wie er die Situation wahrnimmt. Dabei spielen Gefühle und Gedanken der Beschämung und Wut, des Unverständnisses und Ausgeschlossenseins eine große Rolle.

In einer späteren Session erarbeitete der aus Nigeria stammende Teilnehmer gemeinsam mit einer US-amerikanischen Teilnehmerin einen Text, der wichtige Aussagen in Bezug auf das europäische Asylsystem und die alltäglichen Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen Schwarzer Menschen in Deutschland beinhaltet.

Derweil entwickelte die Gruppe ein Format, in dem alle gemeinsam spielenkönnen und welches performativ die Vielfalt der Erfahrungen im öffentlichen Raum der Stadt Leipzig abbildet. Hierzu bediente sich die leitende Theaterpädagogin des Interviewmaterials aus dem EEYRASPS-Projekt. Die Texte wurden mit der Gruppe besprochen und die beschriebenen Erfahrungen reflektiert. Viele der Teilnehmenden konnten sich mit den Aussagen identifizieren und berichteten von ähnlichen Erlebnissen. Anschließend nutzte die Gruppe mehrere Proben dazu, zu den eingesprochenen Textpassagen zu improvisieren.

Die Teilnehmenden suchten nach Körperhaltungen, Gesten, Bewegungen, Gefühlen, Blicken, Bildern usw., die das Gesagte abstrakter und gleichzeitig konkret körperlich ausdrücken. Im Mittelpunkt standen Fragen wie: Wie fühlt sich Fremdsein an? Was heißt es, seine Familie zu vermissen? Was brauche ich, um hier anzukommen? Was bedeuten „Ort des Friedens“ oder „Unruhe“ in einer neuen Stadt?

Masken als performatives Element der Inszenierung

© Munaf Al Dulaimi

Hinzu kam die Idee, dass die Akteur*innen Masken, die das gesamte Gesicht bedecken, als performatives Element tragen sollten. Dadurch sollen Fragen aufgeworfen werden wie: Wer ist eigentlich fremd? Wie wird man zur*m Fremden gemacht? Welche Rollen spielen wir oder sind wir innerhalb eines Systems gezwungen zu spielen? Wer bin ich in einem Land, in dem ich nicht so sein darf, wie ich bin? Diese Fragen beziehen sich auf die Erfahrungen von einigen Geflüchteten, sich „anpassen“ zu müssen, wie zum Beipsiel in der Debatte um das Kopftuch bei muslimischen Frauen.

Die Masken regen auch dazu an, über (meist negative) Zuschreibungen nachzudenken, denen Menschen wegen ihres Äußeren oder ihrer Herkunft ausgesetzt sind. Sie können auch mit der Suche nach Identität assoziiert werden, nachdem Migrant* innen und Geflüchtete in einem neuen Land zur Entwurzelung gezwungen wurden.

© Munaf Al Dulaimi

Bei der Premiere der Performance Anfang Oktober 2021 vor der Heilig-Kreuz-Kirche im Leipziger Osten erreichte die Gruppe ein Publikum von etwa 50 Personen. Etliche waren gezielt für die Performance gekommen, andere blieben spontan stehen und ließen sich von der Darbietung fesseln. Alle beobachteten aufmerksam, was die Spielenden zu sagen hatten. In Gesprächen danach wurde deutlich, dass viele der Zuschauerinnen und Zuschauer emotional sehr berührt waren von den dargestellten persönlichen Erfahrungen.


Anja Stopp, Laura Kröner (Interaction e.V.), zusammen mit dem EEYRASPS-Projektteam: Kathrin Hörschelmann, Elisabeth Kirndörfer, Yuliana Lazova, Karin Wiest

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