Auf den ersten Blick – gar nichts! Doch bei genauerem Hinsehen zeigen sich überraschende Verbindungen und Zusammenhänge mit unseren raumbezogenen Forschungen.
Nach Wochen intensiver Unterstützungsaktionen für die Menschen in der Ukraine kommen für unsere IfL-Kolleginnen und -Kollegen aus der Ukraine, trotz immer neuer Schreckensnachrichten, auch wieder die landschaftlichen Besonderheiten und Schönheiten ihrer Heimat in den Blick.
UNESCO-Biosphärenreservat Askanjia-Nova
Dazu gehört beispielsweise das Naturschutzgebiet Askanjia-Nova, das in der Oblast Cherson ganz in der Nähe der Heimatstadt von Ihor Doroshenko liegt. Es ist das älteste Naturschutzgebiet der Ukraine und das größte Steppenreservat Europas. Wahrscheinlich ist es das einzige Gebiet in ganz Europa, in dem eine natürliche Steppenvegetation anzutreffen ist. Vor dem russischen Überfall auf die Ukraine besuchten jährlich rund 200.000 Touristen das UNESCO-Biosphärenreservat. Auf dem Gelände befinden sich unter anderem ein Zoo, ein Botanischer Garten und ein international bekanntes Forschungsinstitut für Steppentiere.
Historischen Ortsnamen auf der Spur
Ein Bezug zu den Forschungen des IfL ergibt sich beim Blick auf den Namen des Ortes und des Naturschutzgebietes. Dieser stammt vom altsächsischen Hochadelsgeschlecht der Askanier, deren Stammburgen im heutigen Sachsen-Anhalt liegen. Herzog Ferdinand von Anhalt-Köthen gründete 1828 in der Südukraine eine Kolonie für Schafzucht. Die Umbenennung der 1822 nahe der Kolonie gegründeten Siedlung Tschapli in Askanjia-Nova verweist auf einen historischen Ortsnamen, der später überprägt und heute für den Ort kaum mehr benutzt wird. Hingegen ist das Wort „Tschapli“ in dem Namen der Großen Tschapli-Depression, einem Feuchtgebiet auf dem Territorium des Naturschutzgebietes, sowie in anderen Ortsnamen wie Tschaplynka unweit von Askanija-Nova bis heute erhalten.
Solche Ortsnamenformen werden in verschiedensten Namensverzeichnissen erfasst, die in Verknüpfung mit visuellen Mitteln im IfL-Projekt „Herausforderungen der Geodaten-basierten Erforschung von Ortsnamensverzeichnissen (Gazetteers)“ untersucht werden. Durch die Interaktion mit der im Projekt entwickelten Software kann man sehen, dass Tschapli tatsächlich ein historischer Ortsname ist und dass sich in der Umgebung vier weitere Orte mit dem Wortstamm „Tschapli/Tschaply“ befinden.
Vieldimensionale Geschichtsbilder
Weiterhin lassen sich aus der Historie Bezüge zu unseren Forschungen in einem anderen Projekt erkennen. In DigiKAR erproben wir Visualisierungsmöglichkeiten der sich vielfältig überlagernden historischen Netzwerke und raumbezogenen Rechte im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation (kurz: Altes Reich) jenseits territorialer Raumbezüge. Nun liegt Askanjia-Nova nicht im Alten Reich. Allerdings verweist die Geschichte von Askanjia-Nova auf eine europäische Dimension der Vernetzung und der Rechtezuweisung bzw. des Rechteentzugs durch Enteignung und damit der Inklusion und Exklusion auf sehr verschiedenen Ebenen. Ohne ins Detail zu gehen, zeigt sich schon an diesem Beispiel, dass eindimensionale Geschichtsbilder in die Irre führen. Ein besonders krasses Exempel ist die krude „geschichtliche“ Begründung von Wladimir Putin für seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Nationalpark benötigt Unterstützung
Bereits 1874 wurde auf dem Gelände von Askanjia-Nova ein Zoo eingerichtet. Das erste Naturschutzgebiet an dem Ort wurde 1898 von Friedrich von Falz-Fein gegründet. In den Folgejahren wurden neben Schafen, Pferden und domestizierten Elanantilopen auch zahlreiche exotische Tiere gehalten, darunter mehr als 400 Vogelarten, Ellenantilopen, Przewalski-Pferde, Bisons, Zebras und sogar Strauße.
Die derzeitige Fläche des Gebietes von 33.300 Hektar umfasst das Steppenreservat (das Kerngebiet), die Pufferzone und die Übergangszone und gilt zu Recht als das älteste Steppenbiosphärenreservat der Erde. Die Artenvielfalt dieses Ökosystems ist erstaunlich: Insgesamt leben dort über 500 Pflanzenarten und mehr als 3000 Tierarten, die es zu schützen und zu erhalten gilt.
Dafür benötigt das einzigartige Reservat in diesen herausfordernden Zeiten dringende Unterstützung. Über die Möglichkeit, mit einer Spende zu helfen, informiert die (größtenteils ukrainisch-sprachige) Website https://askania-nova-zapovidnik.gov.ua/
Dr. Jana Moser leitet die Abteilung Kartographie und Visuelle Kommunikation und ist Koordinatorin des Forschungsbereichs „Geovisualisierungen“ am IfL
Ihor Doroshenko ist Geograph und Geoinformatiker. Im Forschungsbereich „Geovisualisierungen“ des IfL bringt er sein Wissen seit 2019 vor allem im Gazetteers-Projekt ein.