Eine Analyse der innerstädtischen Umzugsmuster in Leipzig mit dem hin&weg-Tool: Werden Ausländer:innen verdrängt?

Umzugsmuster basieren auf aggregierten individuellen Wohnstandortentscheidungen, welche mitunter auf Marktangebot, Wohnpräferenzen und sozioökonomische Ressourcen zurückzuführen sind. In den vergangenen Jahren war Leipzig – wie viele andere Städte auch – von steigenden Mieten betroffen. Dieser Blogpost untersucht mithilfe der am Leibniz-Institut für Länderkunde entwickelten Analysesoftware hin&weg 1 die Hypothese, ob Ausländer:innen aufgrund steigender Mieten und wachsender Konkurrenz um preiswerten und familiengerechten Wohnraum aus zentrumsnahen in periphere Stadtteile verdrängt werden.

Detaillierte Einblicke ermöglicht ein Datensatz des Amtes für Statistik und Wahlen der Stadt Leipzig, der die kumulierten innerstädtischen Umzüge aller Ausländer:innen zwischen den 63 Leipziger Ortsteilen für die Jahre 2014 bis 2020 beinhaltet.

Im Folgenden werden zunächst ausgewählte Umzugsbewegungen von Ausländer:innen analysiert. Anschließend wird zwischen ausländischen Staatsangehörigen aus Staaten mit junger Migrationsgeschichte (Afghanistan, Irak und Syrien) und solchen mit längerer Zuwanderungsgeschichte (Vietnam) unterschieden.

In Ortsteilen mit nur ein oder zwei Zu- oder Wegzügen wird aus Datenschutzgründen die genaue Zahl nicht veröffentlicht. Mithin können die im Folgenden dargestellten Summenwerte geringfügig von der tatsächlichen Anzahl der umziehenden Personen abweichen.

Innerstädtische Umzugsmuster aller ausländischen Staatsangehörigen

Da der größte Anteil der innerstädtischen Umzüge auf Geflüchtete der Hauptherkunftsländer entfällt, wird der Datensatz im Folgenden in zwei Zeitphasen unterteilt: in die Phase der Unterbringung der Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften (2014–2017) und die Phase der ersten eigenen Wohnstandortwahl von Geflüchteten (2018–2020).

Im Zeitraum 2014 bis 2017 konzentrieren sich die innerstädtischen Umzüge der Ausländer:innen auf Gebiete in der Innenstadt und am Innenstadtrand, wobei die meisten innerstädtischen Wegzüge von Ausländer:innen die Ortsteile Zentrum-Südost (4865), Volkmarsdorf (2104) und Reudnitz-Thonberg (1920) als Ursprung hatten.

Volkmarsdorf ist der Ortsteil mit dem größten Anteil ausländischer Staatsangehöriger (32,1 % im Jahr 2020), daher bietet es sich an, diesen genauer zu untersuchen. Volkmarsdorf liegt östlich des Zentrums und erfährt große Wohnungsnachfrage. So ist der Ortsteil beispielsweise unter Studierenden sehr beliebt. Von den genannten Umzügen aus Volkmarsdorf (2104) erfolgte der größte Teil ortsteilintern, gefolgt von Wegzügen in den westlich angrenzenden Ortsteil Neustadt-Neuschönefeld (255) und das nördlich anschließende Schönefeld-Abtnaundorf (134).

Abbildung 1a, b: Wegzüge aus Volkmarsdorf (li.) 2014–2017 und 2018–2020 (re.)

Abbildung 1a zeigt die Umzugsdynamik der Jahre 2014 bis 2017, wobei Pfeile in den Karten nur bei Umzugsbewegungen von zehn oder mehr Personen dargestellt werden. Abbildung 1b veranschaulicht die innerstädtischen Umzugsbewegungen aller Ausländer:innen für die Jahre 2018 bis 2020. Hierbei fällt insbesondere auf, dass in diesen Jahren nur noch sechs ortsteilinterne Umzüge stattfanden (im Gegensatz zu 480 im Zeitraum 2014 bis 2017). Die meisten ziehen in die östlich von Volkmarsdorf gelegenen Ortsteile Paunsdorf (287), Sellerhausen-Stünz (244) und Schönefeld-Ost (114). Es wird deutlich, dass von 2018 bis 2020 viele Ausländer:innen vom zentrumsnahen Volkmarsdorf in zentrumsfernere Ortsteile abwandern. Dieser Trend stützt somit die Verdrängungshypothese.

Innerstädtische Umzugsmuster aller afghanischen, irakischen und syrischen Staatsangehörigen

Der größte Anteil der innerstädtischen Umzüge von ausländischen Staatsangehörigen betrifft Menschen der Hauptherkunftsländer für Geflüchtete (Afghanistan, Irak und Syrien), die in weiten Teilen während der großen Fluchtbewegung 2015/2016 eingewandert sind. Daher sind bei diesen Personen die Standorte der Gemeinschaftsunterkünfte zu berücksichtigen.

Abb. 2: Zeitreihen für Volkmarsdorf 2014–2020

Die Aussagekraft des Zuzugshöhepunkts im Jahr 2016, der aus Abbildung 2 hervorgeht, ist zu relativieren, da Geflüchtete zunächst in Gemeinschaftsunterkünfte untergebracht wurden. Die Stadt Leipzig war hierbei eine Vorreiterin der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten. Nach ihrer Ankunft in großen Gemeinschaftsunterkünften sollten die Staatsangehörigen der Hauptherkunftsländer möglichst schnell in kleineren Gemeinschaftsunterkünften oder in Mietwohnungen untergebracht werden.

Abb. 3: Wegzüge aus Volkmarsdorf 2018–2020

Abbildung 3 zeigt die innerstädtischen Wegzüge aus Volkmarsdorf in den Jahren 2018 bis 2020 von Menschen aus den Hauptherkunftsländern. Auch hier sind Umzugsbewegungen mit zehn oder mehr Personen mit einem Pfeil dargestellt. Außerdem ist die veränderte Legende zu den vorigen Karten zu beachten. Da in den drei rot eingefärbten Ortsteilen am östlichen Stadtrand – Heiterblick, Engelsdorf und Baalsdorf (von Nord nach Süd) – keine Gemeinschaftsunterkünfte unterhalten werden, kann ausgeschlossen werden, dass diese Umzugsdynamik auf Verlegungen in andere Gemeinschaftsunterkünfte zurückzuführen ist. Das legt den Schluss nahe, dass Geflüchtete aus den Hauptherkunftsländern aus zentrumsnahen in peripherere Ortsteile verdrängt werden (zum Beispiel Heiterblick).

Innerstädtische Umzugsmuster aller vietnamesischen Staatsangehörigen

Die Migration von vietnamesischen Staatsangehörigen hat ihre Wurzeln in den diplomatischen Beziehungen zwischen der DDR und Vietnam. Menschen aus Vietnam waren die größte Gruppe von Ausländer:innen in der DDR. Die historische Migration und der damit einhergehende generationsübergreifende Integrationsprozess könnte durch ein differenziertes Umzugsmuster sichtbar sein. In den Jahren 2018 bis 2020 gab es die meisten Wegzüge unter vietnamesischen Staatsangehörigen aus dem Ortsteil Zentrum-Südost (220).

Abb. 4: Zeitreihen für Zentrum-Südost 2014–2020

Abbildung 4 präsentiert die Summen der innerstädtischen Zu- und Wegzüge aus Zentrum-Südost für die Jahre 2014 bis 2020. Der Saldo der innerstädtischen Zu- und Wegzüge von Vietnames:innen nimmt seit 2018 deutlich ab.

Abb. 5: Wegzüge aus Zentrum-Südost 2018–2020

Abbildung 5 zeigt, wohin vietnamesische Staatsangehörige aus dem Ortsteil Zentrum-Südost in den Jahren 2018 bis 2020 gezogen sind. Umzugsbewegungen von fünf Personen oder mehr sind mit einem Pfeil dargestellt, wobei auch die Legende angepasst wurde. Der Verdrängungseffekt ist deutlich weniger sichtbar als bei den aggregierten innerstädtischen Umzügen aller Ausländer:innen, die stark von Menschen aus den Hauptherkunftsländern von Geflüchteten geprägt sind. Zudem zeigt die Karte, dass sich aus Zentrum-Südost wegziehende vietnamesische Staatsangehörige gleichmäßig in der Stadt verteilen. Dies könnte als Hinweis auf langjährige und erfolgreiche Integration gedeutet werden.

Die Verdrängungshypothese erscheint plausibel

Im Gegensatz zu der Tendenz der vietnamesischen Staatsangehörigen, in viele verschiedene Ortsteile zu ziehen, ist bei Menschen mit Staatsangehörigkeit der Hauptherkunftsländer von Geflüchteten eine Verdrängungstendenz in die östlichen Leipziger Stadtteile zu erkennen. Jedoch geben die Umzugsdaten weder absolute Einwohnerzahlen noch sozioökonomische und demographische Unterschiede wieder, was eine abschließende Validierung der Verdrängungshypothese erschwert. Es sei dennoch darauf hingewiesen, dass Wohnstandorten eine bedeutende Rolle im Integrationsprozess zukommt; daher sollte einer etwaigen Verdrängung von Ausländer:innen, insbesondere derjenigen aus Staaten mit junger Migrationsgeschichte, politisch aktiv entgegengewirkt werden.

1 Die Open-Source-Software hin&weg steht voraussichtlich ab Mitte Juni 2022 zum freien Download zur Verfügung. Mehr Infos unter https://hin-und-weg.online/


Moritz Stegmayer hat seinen Master in Volkswirtschaftslehre an der Universität Leipzig absolviert und das hin&weg-Projekt als studentische Hilfskraft unterstützt.

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