Inspiration von der Arbeitsgruppe Kartographie am IfL

Ende Juni 2022 war ich eine Woche zu Gast in der IfL-Kartographie. Ich heiße Irene Johannsen und bin Kartographin und Mediendesignerin am Geographischen Institut der Universität Bonn. Da unsere Kartographie-Abteilung sehr klein ist, habe ich mich sehr über die Möglichkeit gefreut, anderen Kartographinnen über die Schulter zu schauen, neue Technologien kennenzulernen und Tipps und Tricks auszutauschen. Über einen Kontakt von Prof. Manfred Nutz ergab sich die Möglichkeit, die Arbeitsgruppe Kartographie am IfL in Leipzig zu besuchen.

Das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Leipzig ist das einzige außeruniversitäre Forschungsinstitut für Geographie in Deutschland. Die Abteilung Kartographie und visuelle Kommunikation forscht unter der Leitung von Dr. Jana Moser zu aktuellen kartographischen Fragestellungen und erstellt eigenes Kartenmaterial für die breite Öffentlichkeit sowie für die hausinterne Wissenschaftskommunikation. IfL-Karten sind bekannt für ihre hohe graphische und inhaltliche Qualität. So wurde am IfL bspw. der 12-bändige Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland erstellt.

Interaktive Karten in der Wissenschaftskommunikation

Besonders beeindruckt hat mich, dass das IfL in den letzten Jahren vermehrt interaktive Karten erstellt und nutzt, die es einerseits ermöglichen, bestehende Daten weiter zu analysieren, die aber auch in der Wissenschaftskommunikation zum Einsatz kommen. Interaktive Karten bieten die Möglichkeit die dargestellten Informationen durch Zusatzinformationen wie beispielsweise Metadaten oder Fotos aufzuwerten.

Das IfL nutzt interaktive Karten zum Beispiel im Projekt DigiKAR. Hier untersuchen Dr. Jana Moser und ihr Team die dynamische Visualisierung historischer Daten mitsamt ihrer Datenunsicherheit. Wird ein Punkt auf der dynamischen Karte ausgewählt, so werden weitere Zusatzinformation zu diesem Punkt eingeblendet, die die Analyse der Information unterstützen. Aktuell werden hierfür in einem interdisziplinären Team aus Kartograph:innen, Historiker:innen und Informatiker:innen die Datengrundlagen recherchiert und mögliche Visualisierungsformen diskutiert und ausprobiert.

Visualisierung unsicherer Informationen

Aus kartographischer Perspektive ist an diesem Projekt insbesondere die Visualisierung der Datenunsicherheit interessant, die bisher noch wenig erforscht ist, da die Visualisierung von Metadaten bisher nicht Bestandteil kartographischer Zeichenlehre war. Als Beispieldaten wurden die Geburts- und Einlieferungsorte, aber auch weitere Angaben wie Geschlecht und Alter von Menschen genutzt, die um 1730 in Waldheim/Sachsen inhaftiert waren. Der von Alina Rogalska programmierte Zwischenstand ermöglicht es den Nutzer:innen, Orte, in denen Personen verurteilt wurden, auf der Karte auszuwählen. Auf einer zweiten Visualisierungsebene lässt sich dann erkennen, wo die an diesem Ort verurteilten Menschen geboren wurden. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Mobilität von Menschen in dieser Zeit visuell erfahrbar zu machen. Auf der rechten Displayseite wird für den ausgewählten Ort dargestellt, wie sich die Bevölkerung nach Alter und Geschlecht zusammensetzt. Die Karte wurde mit der freien JavaScript-Bibliothek Leaflet umgesetzt.

Von Alina Rogalska mit Leaflet programmierter Zwischenstand zur Visualisierung von Einlieferungsorten und den Geburtsorten dort verurteilter Personen. Die Hintergrundkarte entspricht noch nicht den Vorstellungen des IfL von einer historisch sinnvollen Grundkarte. Hier sind noch weitere Anpassungen an die historischen Gegebenheiten nötig, bspw. bei den Grenzverläufen, dem Gewässernetz und den Ortsnamen, die sich manchmal über die Zeit ändern. (© IfL)

Maßstabsgerecht generalisierte Grundkarten

Wichtig für die kartographische Arbeit sind die Grundlagenkarten. Dieser Aspekt wird von den Nutzenden der Karten oft gar nicht wahrgenommen, hat aber einen großen Einfluss auf die Lesbarkeit und Ästhetik einer Karte. Damit auch die an Zahl und Bedeutung zunehmenden digitalen Karten dem hohen graphischen Qualitätsstandard des IfL gerecht werden, hat sich das Projekt Neue Geobasisdaten Deutschland damit beschäftigt, die digitalen Grundkarten des Bundesamtes für Kartographie (BKG) für die Maßstabbereiche 1:1 Mio., 1:2,5 Mio. und 1:5 Mio. maßstabsgerecht zu generalisieren. Die Daten sind frei erhältlich und sollen über das BKG-Geodatenportal verfügbar gemacht werden. Bisher wurden die Verwaltungsgrenzen sowie die Flüsse Deutschlands generalisiert. Weitere Ebenen wie Wald- und Siedlungsflächen sowie eine Auswahl von Verkehrswegen sind in Arbeit.

Geleitet von der Kartenredakteurin Silke Dutzmann durchlief die Generalisierung einen mehrstufigen Prozess, der mehrere Korrekturschleifen beinhaltete. Je kleiner der Maßstab, desto mehr Detail wird den Objekten genommen, wobei versucht wird, die Abstände der Polygon- oder Linienankerpunkte innerhalb einer Maßstabsstufe möglichst gleichmäßig zu setzen und gleichzeitig die charakteristischen Merkmale beizubehalten. Die so entstandene generalisierte Karte wurde anschließend von den Kartographinnen des IfL auf einem Ausdruck Korrektur gelesen wobei unstimmige Generalisierungen markiert werden. Nach Fertigstellung der „Ur“-Generalisierung für einen Jahresstand müssen seitdem nur noch die Änderungsdatensätze, die vom BKG zur Verfügung gestellt werden, eingepflegt werden.

Ausschnitt eines Korrekturbogens für den Generalisierungszwischenstand der Kreis- und Ländergrenzen für den Maßstab 1:1 Mio. Von Hand markiert sind Stellen,
an denen die Generalisierung überarbeitet werden sollte. (© IfL)

Karten für die Wissenschaftskommunikation zu nutzen, ist auch in Bonn ein wichtiger Aspekt. Wir entwerfen statische Karten für Lehrbücher, wissenschaftliche Artikel und Vorträge der unterschiedlichen geographischen Fachbereiche des Instituts. Hierbei greifen wir auf freies Basiskartenmaterial zurück, das wir je nach Maßstab generalisieren. Dieser Vorgang ist sehr zeitaufwändig. Umso mehr freuen wir uns über die vom IfL sauber ausgearbeiteten GIS-fähigen Geodaten, insbesondere mit der Aussicht, diese auch in Zukunft für dynamische Karten nutzen zu können.

Nationalatlas aktuell: digital und interaktiv

Auch der Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland hat den Sprung ins Digitale geschafft. Nach der Vollendung des zwölften und letzten Themenbandes wurde 2007 am IfL beschlossen, das Projekt in digitaler Form als Nationalatlas aktuell weiterzuführen. Seither erscheint unter der Adresse aktuell.nationalatlas.de ca. alle 3 bis 4 Wochen ein Kartenbeitrag zu einem relevanten Deutschland- oder Europathema. Genau wie im Printwerk und allen anderen Karten des IfL steht die präsentierte Karte immer zusammen mit einem erläuternden Text, der den Datenhintergrund erklärt und Interpretationsansätze liefert. Die Karten richten sich hauptsächlich an die breite Öffentlichkeit, die Medien sowie an Lehrende an Schulen und Hochschulen. Seit 2020 sind die Karten mit interaktiven Elementen angereichert, sodass beim Überfahren von Flächen, Linien oder Punkten mit dem Cursor zusätzliche Informationen angezeigt werden.

Beispiel eines Nationalatlas aktuell-Beitrags mit Text und Karte (© IfL)

Kartenproduktion als Teamarbeit

Die Kartographie am IfL profitiert sehr vom internen Austausch des interdisziplinären Teams. Forschende diverser Fachgebiete, Kartenredakteur:innen und ausführende Kartograph:innen diskutieren in regelmäßigen Redaktionssitzungen beispielsweise darüber, ob die Datengrundlage für die jeweilige Kartenaussage ausreichend genau ist, die Grundkarte dem Zweck entspricht oder ob die Visualisierungsmethode die Daten korrekt wiedergibt. Dieser Austausch hat mich sehr beeindruckt, da so eine hohe kartographische Qualität gesichert wird und sich auch weiterführende Forschungsfragen entwickeln können.

Mein Kollege und ich diskutieren vereinzelte Karten miteinander, und mit den Auftraggeber:innen diskutieren wir auch die Zwischenprodukte, aber einen solchen Detailgrad wie am IfL erreichen wir noch nicht. Wahrscheinlich aus der Gegebenheit heraus, dass wir keine Forschungsabteilung sind. Dazu kommt, dass mein Kollege und ich jeweils alleine für die komplette Redaktion und Erstellung von Karten zuständig sind, während die Kartenredaktion und Kartenerstellung am IfL getrennt sind.

Lohnender Austausch

Bei meinem Besuch am IfL lernte ich im Austausch mit den erfahrenen Kartographinnen neue Visualisierungsmethoden, Programme und aktuelle Forschungsthemen der Kartographie kennen. Das Bonner Geographische Institut wird insbesondere von interaktiven Karten in Wissenschaft, Lehre und der Öffentlichkeitsarbeit profitieren können, und ich bin motiviert, neue Technologien auch in meiner Arbeit auszuprobieren. Bei diesem Zusammentreffen entwickelten wir auch die Idee, die jeweiligen Kompetenzen der Kartographischen Abteilungen in gemeinsamen Workshops in den Bereichen Grafik, JavaScript-Programmierung und GIS-Nutzung auszutauschen.


Irene Johannsen arbeitet als Kartographin und Mediendesignerin am Geographischen Institut der Universität Bonn. Ende Juni 2022 war sie eine Woche zu Gast in der Arbeitsgruppe Kartographie am IfL.

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