Pro-russische Gesetze und Machtwille in Georgien

Unmut über Russland prägt das Stadtbild in Tbilisi. Aufnahme des Autors, Oktober 2022

In Georgien stimmten am 7. März 2023 76 Abgeordnete (bei 13 Gegenstimmen) in der ersten Lesung dem Gesetzentwurf „Über Transparenz ausländischen Einflusses“ zu. Nach zweitägigen Demonstration kommt nun heute der Rückzieher der Regierungspartei „Georgischer Traum“. Man wolle das Gesetz nun vorerst nicht verabschieden. Gelöst sind damit wenige Probleme. Das Gesetz und der Protest geben Anlass über ein Land nachzudenken, das seinen Ruf als Vorreiter der Länder der Östlichen Partnerschaft bereits seit einiger Zeit an die Republik Moldau und die Ukraine abgetreten hat. Zum Gesetz: Dieses würde Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen mit einem ausländischen Finanzierungsanteil von mehr als 20 Prozent dazu zwingen, sich als sogenannte Agenten ausländischen Einflusses zu registrieren. Bei Zuwiderhandlung müssten diese mit empfindlichen Strafen rechnen. Seit die „Macht des Volkes“, einem der Regierungspartei loyal gesinnten Zusammenschluss von Parlamentarier:innen, deren Aufgabe darin besteht, besonders unbeliebte, als „anti-westlich“ empfundene Debatten zu starten, den Vorschlag für ein solches Gesetz Mitte Februar öffentlich bekanntgab, brodelt es lautstark in der Hauptstadt und rumort es vernehmbar bei den westlichen Verbündeten.

Obwohl die Regierungspartei das 1938 verabschiedete US-amerikanisches Gesetz FARA („Foreign Agents Registration Act“) als Vorbild nennt (das übrigens zum Ziel hatte, den Einfluss nationalsozialistischer Propaganda zu unterbinden), deuteten deren Gegner:innen das Gesetz umgehend als „russisches Gesetz“ um. Russland beschloss 2012 das Gesetz über „ausländische Agenten“, in deren Folge die Arbeit der Zivilgesellschaft deutlich erschwert wurde. Die Ängste sind begründet, dass nach der zwanghaften Registrierung von Organisationen deren Marginalisierung und Kriminalisierung nach russischem Vorbild erfolgt. Ebenso ist die Sorge verbreitet, dass ein solches Gesetz Georgien weiter wegführt von dem heiß ersehnten EU-Kandidatenstatus, den es offiziell in diesem Jahr zu erhalten trachtet.

Repräsentanten aus Europa und den USA zeigen sich im üblichen diplomatischen Mantra „besorgt“ über das Gesetzesprojekt, heben aber bisweilen auch deutlich hervor, dass die Annahme des Gesetzes eine deutliche Entfremdung darstellen oder gar Konsequenzen erfordern würde. Unter Gegner:innen des Gesetzes wächst die Ungeduld. Manch eine:r fordert jetzt schon Sanktionen von Politiker:innen, die das Gesetzesprojekt unterstützt haben. Deren Namen und Bilder kursieren im Internet als Akt des „Public Shaming“.

Die (Nicht-)Bedeutung Europas in Georgien

Die georgische Regierungspartei befindet sich in einer Klemme, aus der sie so schnell nicht herauskommen wird. Seit geraumer Zeit fungiert Europa in Georgien als Formel für eine gute, verheißungsvolle Zukunft. Dabei verschwimmen auch gerne einmal die Trennlinien zwischen EU und NATO. Worin genau die Zukunft in Europa besteht, bleibt dabei oftmals noch vager als das bereits opake Verständnis in Deutschland darüber. Vor allem gilt Europa – eher ex negativo definiert – als einzige Möglichkeit sich vom Orbit der imperialistischen Einflusssphäre Russlands zu entfernen. Die georgische Regierung ist dazu gezwungen, dem Wunsch der Bevölkerung nach Annäherung an die europäische Staatengemeinschaft zu entsprechen. Alles andere wäre politischer Selbstmord. Das Integrationsbestreben in EU und NATO ist sogar in der Verfassung verankert. Jedoch fällt der Georgische Traum zunehmend durch eine Politik auf, die die Opposition als „anti-westlich“ und „pro-russisch“ zu brandmarken versucht, auf jeden Fall aber innerhalb und außerhalb des Landes mit zunehmendem Kopfschütteln beobachtet und kommentiert wird. Dass Russland im Zuge des Ukrainekrieges Georgien aus der Liste „unfreundlicher Staaten“ entfernte, galt vielen in Georgien als Armutszeugnis der Regierung.

Das Europa der Regierungspartei: Ein Wink nach Polen und Ungarn?

Die Komplexität der Beziehung zu Europa wurde beim Besuch des georgischen Premierministers Irakli Gharibaschwili auf der Tourismusmesse ITB in Berlin am 7. März 2023 deutlich. Dass Georgien Gastland der ITB ist und Gespräche über wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Wirtschaftsminister Habeck führte, unterstreicht die Ambitionen des Kaukasuslandes, sich noch stärker mit der westlichen Welt und besonders Deutschland zu vernetzen. Jedoch gab Gharibaschwili ebenfalls zur Kenntnis, dass die Zukunft seines Landes „nicht mehr den ausländischen Agenten oder den Dienern fremder Länder“ gehöre. „Die Zukunft unseres Landes und unseres Volkes gehört den Patrioten.“ Dabei legt der Georgische Traum darauf Wert, dass solche Rhetorik eben gerade nicht mit einem anti-westlichen und pro-russischen Kurs gleichzusetzen sei. Stattdessen soll, nach den nebulösen Worten des Vorsitzenden der Regierungspartei Irakli Kobachidse, Georgien weiterhin den Weg „Richtung Europa“ beschreiten, nun aber mit den Vorzeichen des „Christentum“, der „Souveränität“ und mit georgischen „Werten“.

Über solche Europavisionen wird man sich in der ungarischen Fidesz-Partei oder der polnischen PiS freuen. Noch stärkere Andeutungen eines EU-skeptischen Kurses bot das Parlamentsmitglied Beka Davituliani, ebenfalls Teil der Regierungspartei. Dieser hob, ebenso am 7. März, in einer Parlamentsdebatte hervor, dass die EU im Jahr 1921 (!) das zwischen 1918 und 1921 als unabhängiger Staat existierende Georgien nicht vor dem Überfall durch Sowjetrussland beschützt habe. In vielen Schichten stoßen solche Narrative auf eine Mischung aus Wut, Enttäuschung und Sarkasmus. Dass der georgische Staat selbst Unmengen an Geldern von der westlichen Staatengemeinschaft im Rahmen der Entwicklungspolitik erhält und dabei auch gerne seine eigene Abhängigkeit unter den Tisch kehrt, macht den Unmut nicht geringer.

Demonstrationen und die Macht der Benennung

Sogleich am 7. März mündete die gereizte Stimmung, befeuert durch die Annahme des Gesetzentwurfs in der ersten Lesung, in eine Demonstration vor dem georgischen Parlament in Tbilisi. Auch am 8. März kamen die Demonstrierenden zum Rustaweli Prospekt vor das Parlament und ebenso außerhalb von Tbilisi zeigten sich Manifestationen des Protests. Welche Schichten an der Demonstration in der Hauptstadt teilnahmen ist schwer einzuschätzen. Getragen von der schwachen, zum Teil stark mit Misstrauen beäugten, parlamentarischen Opposition war sie jedenfalls nicht. Die größtenteils friedlich Demonstrierenden brachten ihr Nein zum „russischen Gesetz“ zum Ausdruck. Allerdings flogen auch Steine, Feuerwerkskörper und Molotow-Cocktails. Die Regierung wiederum setzte Wasserwerfer, Pfefferspray und Tränengas ein, scheute aber nicht davor zurück, die Demonstrierenden umgehend als Teil der „radikalen Opposition“ zu bezeichnen. Denn während die oppositionellen pro-europäischen Bewegungen eine Tendenz haben, alle politischen Aushandlungen in die Kategorien pro- und anti-westlich, pro- und anti-russisch einzuordnen, so liegt das Markenzeichen der Regierungspartei in einer etwas anderen Taktik. Seit einer Dekade befeuert sie einen Populismus, der ihre eigene Rhetorik und Praxis als Repräsentation des Volkswillen stilisiert, jedwede Form von Dissens gegenüber ihrer Linie mit dem im Gefängnis sitzenden ehemaligen Präsidenten Michail Saakaschwili und seiner Partei in Verbindung bringt. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt, den Zusammenfall der Staatlichkeit als Drohszenario zu beschwören.

Jenseits von Europa und Russland: Machterhalt

Den vielleicht wichtigeren Grund für das Gesetz hat der Premierminister auch in Berlin durchblicken lassen. Im Anschluss an seinen Appell für ein Georgien ohne ausländischen Einfluss, holte Gharibaschwili gegen das Europaparlament aus. Dieses verabschiedete am 13. Februar 2023 eine Resolution über die Situation des sichtlich erkrankten Saakaschwili. Durch die kritische Resolution „haben die Europaabgeordneten uns gesagt, dass Herr Saakaschwili ihr Agent, ihr Diener ist.“ Dabei fügte der Premier hinzu: „Ich möchte es den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und einigen korrupten Bürokraten sagen, die das georgische Volk belehren. Das georgische Volk weiß sehr gut, was das Land heute braucht. Das georgische Volk braucht keine gewalttätigen Diktatoren, keinen gewalttätigen Saakaschwili und kein kriminelles System mehr.“

Natürlich sollte der Georgische Traum wissen, dass ein in weiten Bevölkerungsgruppen diskreditierter Saakaschwili keine ernsthafte politische Bedrohung mehr darstellt. Allerdings bedarf es nach zehn Jahren ohne wegweisende Reformen guter Gründe, um die eigene Regierungslegitimation glaubhaft zu machen (die auch gerne vor Wahlen mit Schuldenerlässen eingekauft wird). Da kann der Kreis der imaginären Feinde um den Ex-Präsidenten nicht groß genug sein. Dass Saakaschwili nun einerseits mit einer größtenteils ihm skeptisch gegenüberstehenden außerparlamentarischen Opposition, andererseits mit dem Europaparlament in Verbindung gebracht wird, stellt nicht nur einen Versuch dar, beide Lager zu delegitimieren. Die weitaus größere Sorge des Georgischen Traums ist vielmehr, wie er sich noch weiter an der Macht festklammern kann. Russland und Europa sind dem Leitmotiv des Machterhalts beigemischt.

Quo vadis Georgien?

Nachdem die Regierungspartei ihren eigenen Gesetzesvorschlag nun bereits selbst kassiert hat, stellt sich die Frage, wie es in Georgien weitergeht. Oppositionelle Gruppen weisen bereits daraufhin, dass das Gesetz noch offiziell in der zweiten Lesung abgelehnt werden muss. Zudem weisen sie auf die 134 Inhaftierten hin, über deren Zukunft der Georgische Traum noch kein Wort verloren hat. Ob die georgischen Demonstrierenden weiterhin auf die Straße gehen werden oder den Protest gar intensivieren können, ist zweifelhaft. Dadurch, dass das vordergründige politische Ziel vorerst erreicht ist, stellt sich die Frage, was die Demonstrierenden überhaupt verbinden mag und auf welcher Plattform Gespräche über Gemeinsamkeiten und Differenzen stattfinden sollen. Die Parteienlandschaft scheint es nicht, die sozialen Medien wiederum sind zu dezentral. Inwiefern das Gesetzesprojekt noch einmal, in abgeänderter Form, zurück auf die politische Agenda kommt, ist ebenso ungewiss. Allerdings lassen Bemerkungen der heutigen Erklärung daraufhin schließen. Die Stellungnahme der Regierungspartei hält fest, dass man „mit Abkühlung der Emotionen“ einen neuen Versuch unternehme „der Gesellschaft zu erklären, für was dieser Gesetzesentwurf diente und warum er wichtig war“. Fest steht allerdings, dass die Demonstrierenden bewiesen haben, dass Druck auf der Straße die Regierung zum Einlenken zwingen kann. Da die Regierungspartei bereits vor ihrer heutigen Mitteilung erklärte, dass sie den Gesetzesentwurf der Venedig-Kommission vorlegen werde, war dieser Schritt wohl auch politisch klüger. Eine wahrscheinliche Kritik durch die Venedig-Kommission wäre politisch schmerzvoller. Die Konstruktion einer von Saakaschwili angeleiteten, radikalisierten und emotionalisierten Jugend mag die Regierungspartei versöhnlicher erscheinen lassen.

Hoffnung gibt es in Georgien nach über zehn Jahren Regierungspartei wenig. Die meisten, die es können, versuchen ihr Glück im Ausland, auch in Europa, zu finden. Im Januar 2023 stand Georgien auf Platz sechs der Asylanträge nach Hauptstaatsangehörigkeit der Antragsstellenden in Deutschland. Für ein Land mit weniger als vier Millionen Einwohner:innen eine dramatische Zahl. Europa ist als leerer Signifikant im politischen Diskurs Georgiens fest verwurzelt. Diesen Signifikant mit sinnstiftender Bedeutung zu füllen, ist die politische Schwierigkeit, die Georgien am stärksten mit der EU verbindet.


Markus Sattler ist Geograph und arbeitet am IfL im Teilprojekt „Standortentscheidungen innovativer Technologieunternehmen für ungewöhnliche Orte in Zentralasien und Afrika“ des SFB 1199. Er promoviert zu sozialökologischen Globalisierungsprojekten von Unternehmen in Armenien und Georgien. Ein Interesse für den Kaukasus hegt Markus Sattler seit einem Freiwilligendienst im Jahr 2010.

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