Webkartographie 2.0 – Demokratisierung? Informationsdschungel? Nutzungskompetenzen?

Bild: Elke Steiner

Kartenkommunikation im GeoWeb 2.0

Die Herstellung und Nutzung von Karten hat sich mit der Verbreitung digitaler Medien sichtlich gewandelt. Während in der Vergangenheit ausgebildete Kartographen mit der Herstellung von Karten beauftragt waren, beschäftigt sich im GeoWeb 2.0 eine Mischung aus Laien, Experten, Softwareentwicklern, kommerziellen Unternehmen, staatlichen Institutionen, Privatpersonen, Bürgerbewegungen oder Online-Communities mit der Erstellung und Verbreitung von Karten und Geoinformationen.

Dieser Wandel ist, auch vor dem Hintergrund der Reflexion über die Rolle akademisch verankerter Kartographie, eines der Forschungsthemen der Abteilung Kartographie und Visuelle Kommunikation am IfL. Im Nachgang des mittlerweile abgeschlossenen Forschungsprojekts Demokratisierung von Expertenwissen. Kartenproduktion und Kartengebrauch in neuen Medienwelten erschien im Juni 2020 eine Monographie über die Nutzerperspektive und damit verbundene Rahmenbedingungen, Herausforderungen und Lösungsansätze für einen bewussten und kritisch hinterfragenden Umgang mit Web 2.0-Karten. Dieser Blogbeitrag gibt einen kurzen Einblick in die Auseinandersetzung mit dem Thema.

Demokratisierung der Kartographie?

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Nutzerbeteiligung im Web 2.0 einer nie dagewesenen Bandbreite an Akteuren die Möglichkeit bietet, eigene Inhalte zu erstellen, zu verbreiten und gemeinschaftlich zu nutzen. Die Anwendungsgebiete reichen dabei von individuellen Zwecken über partizipative Planungs- und Orientierungsszenarien, Tactical- oder Counter-Mapping bis hin zu Lernkontexten und Citizen Science-Initiativen. Aus gutem Grund wird der Nutzerbeteiligung im Kontext der Webkartographie emanzipatives Potenzial zugeschrieben, etwa wenn Räume von Diskriminierung, sozialer Ungleichheit oder Umweltzerstörung durch Betroffene visualisiert und somit andere Perspektiven auf den Raum vermittelt werden können.

Bild: pixabay.com

Dennoch liegt eine tiefgreifende Demokratisierung der Kartographie noch in einiger Ferne. Noch immer existiert der sogenannte Digital Divide, welcher den ungleichen Zugang zu Wissen und Technologien beschreibt. Studien belegen etwa, dass sich die Community hinter OpenStreetMap zu weiten Teilen aus gut ausgebildeten männlichen Personen aus Industrienationen zusammensetzt (Neis 2014). Hinzu kommt, dass die meisten Mapping-Tools von ebendiesen Kreisen oder kommerziellen Akteuren entwickelt werden, welche kulturelle Konventionen und hegemoniale Deutungsschemata reproduzieren und somit abweichende Raumdeutungen erschweren. Dies zeigt sich beispielweise im vorstrukturierten Angebot von Kartensymbolen (was ist darstellbar und was nicht?) oder der Verwendung von Basiskarten, die gesellschaftlich geformte Zugehörigkeits- oder Besitzansprüche widerspiegeln.

Aufgelöste Machtstrukturen und neue Intransparenzen

Hinsichtlich der Frage, welche Inhalte, Perspektiven und Raumdeutungen innerhalb der vorstrukturierten Rahmenbedingen im Web 2.0 kartographisch visualisiert werden, zeigen sich ähnliche Mechanismen wie in anderen Web 2.0-Kontexten. Auf der einen Seite geschieht dies ohne die klassischen Gatekeeper wie Redaktionen, Wissenschaftler oder Verlage, welche über die Ziele und Aussagen von Karten bestimmen. Dies führt mitunter zu einem dichten Informationsdschungel kartographisch visualisierter Aussagen, wobei die Bewertung der Eignung dieser Informationen auf die Seite der Rezipienten verlagert wird. Gleichzeitig stößt das damit adressierte Hinterfragen von Karten und ihren Herstellungskontexten an seine Grenzen, wenn (multiperspektivische) Autorenkonstellationen und Datenquellen nicht transparent gemacht oder Geoinformationen durch unsichtbare Algorithmen verarbeitet werden. Monopole und Intransparenzen, welche die kritische Kartographie bereits seit den 1980er-Jahren als Ursache für die Macht der Karten beschreibt (Wood 1993), scheinen sich im Web 2.0-Zeitalter in anderen Strukturen fortzusetzen.

Neue Medien, neue Kompetenzen

Trotz und wegen dieser neuen Herausforderungen hinsichtlich der Dekonstruktion von Web 2.0-Karten ist es wichtig, die Bedingungen und Bestandteile eines kritisch-reflexiven Umgangs mit dem Medium zu analysieren und herauszustellen. Dabei ergeben sich entscheidende Ansatzpunkte in den Kartenkompetenzmodellen der Geographiedidaktik, beispielweise im Ansatz der Education for Spatial Citizenship (Schulze et al. 2015). Gleichzeitig stoßen die bislang verfügbaren Konzepte vor dem Hintergrund der Web 2.0-Charakteristiken an ihre Grenzen, etwa bei der Einschätzung multipler und heterogener Autorenkonstellationen, algorithmenbasierter Datenverarbeitung, Veränderlichkeit der Karten oder Partizipationskosten wie der Abhängigkeit von AGBs oder Beschränkung der informationellen Selbstbestimmung bei der Teilhabe an Geokommunikationsprozessen.

Herausforderungen für das Hinterfragen von Karten im GeoWeb 2.0. Bild: Tom Hoyer

Vor diesem Hintergrund wurden im Rahmen des eingangs genannten IfL-Forschungsprojekts die Bedingungen und Bestandteile einer reflexiven Web 2.0- Geomedienkompetenz erörtert und konzipiert (Hoyer 2020). Dabei wurde ersichtlich, dass die ausdifferenzierten Kompetenzbausteine bedeutsame Schnittmengen mit verbreiteten und alltagsrelevanten Medien- und Informationskompetenzen aufweisen, welche sich unter bestimmten Bedingungen auch im Kontext der Web 2.0-Kartographie einsetzen und abrufen lassen.

Ob und wie gut das funktioniert, und welche Herausforderungen im Umgang mit nutzergenerierten Webkarten noch stärker in den Blick genommen werden sollten, lässt sich in der unten verlinkten Open-Access-Monographie genauer ergründen.


Dr. Tom Hoyer ist Wissenschaftler im IfL-Forschungsbereich Geovisualisierungen

Referenzen:
Hoyer, Tom (2020): Raumkonstruktionen im Web 2.0 erkennen, bewerten und reflektieren: Über technische Möglichkeiten und soziale Praktiken im Umgang mit nutzergenerierten Webkarten. https://doi.org/10.17185/duepublico/71830

Neis, Pascal (2014): Von Qualitätsuntersuchungen zu Nutzungspotentialen von gemeinsam zusammengetragenen Geodaten. Kartographische Nachrichten 64: 130–136.

Schulze, Uwe, Inga Gryl und Detlef Kanwischer (2015): Spatial Citizenship – Zur Entwicklung eines Kompetenzstrukturmodells für eine fächerübergreifende Lehrerfortbildung. Zeitschrift für Geographiedidaktik 43: 139–164.

Wood, Denis (1993): The power of maps.

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